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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Decke.
    Rutgar dankte Aynur und sah Chersala eine Zeitlang beim Schlafen zu; ihr Atem ging tief und ruhig. Eine Stunde später verschloss Rutgar das Tintenkrüglein und schob das Pergament zwischen die unbeschriebenen Seiten.
    Stunden später wachte er auf und erinnerte sich an den Traum, den er gehabt hatte. Er, Chersala, Thybold und Berenger blickten vom Heck eines Schiffs, das in Sankt Simeon abgelegt hatte, zurück auf den langen Weg durch ein Land aus Entbehrungen und Steinen, Staub und Durst, Regen, Krankheit und Tod, aus grellem Mondlicht und dem Starren riesiger Sterne. Nicht nur ein Teil ihres Geistes war dort zurückgeblieben, zwischen verendeten Pferden und Zugochsen, verdursteten und verhungerten Teilnehmern der bewaffneten Pilgerfahrt, zwischen unzählbar vielen Gräbern der Kriegsknechte, Knappen, Mönche, Ritter, Frauen, Kindern. Sie hatten ihren Gottesglauben ebenso verloren wie die Furcht vor den Strafen und dem Jüngsten Gericht. Dann endete der Traum.
    Rutgar sah Chersala im Sonnenlicht lächelnd an ihrem Lager sitzen. Sie rieb, in Schweigen versunken, ihr Haar trocken und bürstete es mit müden Bewegungen.
 
    Die Emire von Hama und von Homs, die an der Seite Kerbogas gekämpft hatten, riefen ihre Heere nicht zusammen. Die Furcht der »Sarazenen« verwunderte die Franken: Die mächtigsten zwei muslimischen Familien, die Banu Ammar von Tripolis und die Munqidhiten von Schaizar, die das Land vom Orontes bis weit in den Süden und zur Küste beherrschten, sandten Boten mit Geschenken.
    Nachdem der einäugige Raimund ungefähr zwölf Meilen weit nach Südwest, bis nach Kafartab, geritten und dort Tancred und Robert von der Normandie erwartet hatte, trafen die Fürsten mit Boten des Emirs von Schaizar zusammen. Sie sagten, dass ihr Herr Proviant und Wegekundige stellen würde, wenn die Franken schworen, friedvoll durch das muslimische Land zu ziehen.
    Die Fürsten berieten lange und stimmten zu, und so führte man ihr Heer durch die Orontes-Furt und durch das Sarouttal nach Süden. Die Besitzer und Hirten aller Herden dieses Landstrichs hatten die Tiere in einem Seitental versteckt, aber die Franken, ungefähr sechstausend Mann, fanden die Herden, raubten sie bis zum letzten Schaf und verkauften sie; für den Erlös kauften sie ungefähr tausend frische Saumpferde. Am 22. des Schneemonds umkreisten sie die Helouberge und kamen zur Stadt Rafaniya, die von ihren Bewohnern verlassen worden war. Aber das Heer fand viel Proviant in den Häusern, blieb drei Tage lang und ritt hinunter in die Ebene von Bukaia, zwischen dem Libanon und den Nosaribergen.
    Über der Ebene thronte eine mächtige Festung mit Ausblicken über ein weites Stück Land. Sie hieß Hosn al-Akrad, »Zitadelle der Kurden«, und wer sie besetzt hielt, sah jeden Reiter und konnte die Wege zum Meer sperren. Man belagerte die Festung, und in der letzten Nacht des Mondes flüchtete die Besatzung voll Angst aus der Burg, ließ aber ihre Vorräte zurück. Kleider, Rüstungen und Waffen der Ritter waren löchrig, rostig und stumpf geworden, aber die furchtsamen Muslime erkannten den wahren Zustand des Heeres nicht.
    Drei Wochen lang, bis um Mariä Lichtmess, ließen es sich Raimunds Ritter und ihr Tross in der Festung gut gehen. Boten des Emirs von Hama brachten Geschenke und versicherten, er würde den Pilgerzug nicht angreifen.
    Emir Dschalal el-Mulk Abu'l Hassan von Tripolis ließ Raimund auffordern, nach Tripolis zu kommen, um Rat abzuhalten. Raimunds Boten, die den Reichtum der Stadt und des Landstrichs sahen, rieten ihm, zum Schein einen Angriff auf eine Festung des Emirs zu führen, und Raimund stimmte zu, die Stadt Arqa, fünfzehn Meilen vor Tripolis, zu belagern.
    Gleichzeitig sandte Raimund seine Namensvettern Raimund von Tourenne und Raimund Pilet aus, um Tortosa anzugreifen, den besten Hafen zwischen Tripolis und Latakia. So wollte Raimund von Toulouse den Emir zwingen, ihm mehr Geld zu zahlen, um sein Land zu schonen.
    Listenreich belagerten die beiden und ihre Rotten die Hafenstadt. Sie zündeten nachts in einem weiten Kreis um die Stadtmauern so viele Lagerfeuer an, dass der Statthalter überzeugt war, sich einem riesigen Heer gegenüberzusehen. Er erschrak zu Tode und flüchtete des Nachts mit seinen Mannen zu Schiff. Am Morgen öffneten die Bewohner die Stadttore und ließen die Franken herein.
    Als der Statthalter von Marqiye, zehn Meilen weiter im Norden, davon erfuhr, ließ auch er das Heer unbehelligt und reich beschenkt

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