Jerusalem
einen Angriff der Franken.«
»Die Menschen in Arqa wissen, wie die Franken in Antiochia und andernorts gewütet haben«, sagte Chersala und wischte die Schale mit Brotstücken leer. »Sie werden lieber sterben als sich ergeben.«
»Das denke ich auch«, meinte Berenger. »Bisher haben die Muslime jeden Angriff zurückgeschlagen.«
Die Heere und die Pilger hatten abermals ein Land betreten, dessen Aussehen sie verwunderte und erschreckte. Nackte Felsen, steinige Berge und fruchtbare Täler im Landesinneren wechselten ab mit großen Ebenen bis zum Meer im Westen. Der Frühling hatte die gesamte Gegend in ein grünes und blühendes Paradies der Fruchtbarkeit verwandelt. Von Tag zu Tag wurde die Kraft der Sonne stärker.
»Wie lange werden wir hier lagern?«, sagte Chersala.
»Das kann ich nicht sagen«, wich Berenger aus. »Wir müssen nicht die Mauern dieser unglückseligen Stadt erstürmen.«
»Uns bleibt der Dienst als Kundschafter.« Rutgar goss Öl auf einen Lappen und rieb es ins Sattelleder ein. »Wir werden es erleben, wenn die Stadt erobert wird.«
»Inschallah.« Berengers Grinsen verschwand.
Rutgar und Berenger, durch die Fähnchen an ihren Lanzen als Kundschafter ausgewiesen, stiegen bedächtig aus den Sätteln. Im Mittelpunkt des normannischen Lagers herrschte Gedränge. Berenger wandte sich an einen Krieger, redete mit ihm, und der Ältere deutete auf eine Gruppe Priester, deren Erregung viele Pilger und Soldaten angesteckt hatte. In dem Trupp erkannte Rutgar seinen Halbbruder und winkte ihn zu sich.
»Was treibt dich zu den Normannen, Thybold?« Sie umarmten sich kurz.
Thybold grinste und antwortete: »Aufregung. Erscheinung von Heiligen. Der Glaube ist größer als der Durst.«
»Wieder eine Vision?«
»Peter Bartholomäus hat wieder den Herrn gesehen. Arnulf von Rohes, Kaplan von Choques, zweifelt daran. Und Peter Desiderius hat noch feurigere Visionen als Peter Bartholomäus. Hört es euch selbst an!«
Der späte Morgen des 5. Tages im Ostermond. Peter Bartholomäus rief unter den Geistlichen und den Pilgern eine Aufregung hervor, die anscheinend das gesamte christliche Heer erfasst hatte. Er verkündete mit beschwörenden Worten und machtvollen Gesten, dass der heilige Andreas und Christus selbst verlangten, dass Arqa erstürmt werden sollte.
»Es schickt sich trefflich«, murmelte Berenger in Rutgars Ohr, »dass Graf Raimund von Toulouse dieselbe Absicht hat.«
»Und der normannische Prediger Arnulf? Was glaubt er?«
»Er sagt, Peters Visionen sind unwahr.«
Desiderius aber, so erfuhren die Kundschafter, hatte in seiner Vision Bischof Adhemar im höllischen Feuer seine Zweifel büßen sehen. Stephan von Valence rief das Heer dazu auf, an die Vision von Antiochia zu glauben, Raimund von Aguilers berichtete, wie er den Heiligen Speer geküsst habe, als er noch im Boden der Kirche halb vergraben gewesen war. Nach langem und lautem Gezänk bot Bartholomäus voller Zorn ein Gottesurteil an. Die Feuerprobe, während der er die Heilige Lanze unversehrt durch die Flammen tragen würde.
Rutgar fragte kopfschüttelnd: »Er meint es ernst? Er selbst? Eine Feuerprobe?«
»Und was, wenn seine Vision wahr ist«, erwiderte Thybold, »und sich alle getäuscht haben, die nicht an ihn glauben?«
»Vielleicht«, meinte Rutgar, »hat er sich auch so sehr in seine Geschichte verstrickt, dass er keine andere Wahl mehr hat, als sie auf diese Art beweisen zu wollen.«
Er schlang den Zügel um seinen Unterarm und führte seinen Rappen vom Hauptplatz des Lagers zum Zelt Roberts von der Normandie. Der Fürst hatte keinen Auftrag für die Späher und bat Berenger, zu prüfen, ob die Stadtbewohner aus anderen Orten Hilfe bekämen. Berenger stimmte zu und versprach, der Bitte bis zum Karfreitag zu entsprechen.
Er und Rutgar ritten zum Lager zurück und befahlen einigen Männern, mit ihnen zu reiten; bis zum Anbruch der Dunkelheit erkannten sie, dass der Ring der Belagerer geschlossen und jeder Durchschlupf unmöglich war.
Aber am Karfreitag hätte ein kleines muslimisches Heer durch die Stadttore Arqas einziehen können; denn außerhalb der Stadt waren fast alle sechzigtausend Pilger, Soldaten, Knechte und Fürsten versammelt. Rutgar, Berenger und Chersala hielten die Pferde am Rand einer flachen Talschüssel an, in deren Mitte zwei Wälle aus trockenem Holz und dürren Zweigen aufgeschichtet waren; vier Fuß hoch und mehr als ein Dutzend Fuß lang, ungefähr zwei Handbreit voneinander
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