Jerusalem
in jenem fernen Prag, im Rheinland oder in Konstantinopel wird jemals etwas von ihnen hören; es beliebte dem Herrn, sie nicht nur vom Antlitz der Welt, sondern auch aus der Erinnerung der Menschen zu tilgen. Denn man hat abgenagte Knochen gefunden, an denen die Ringe steckten, die Volkmar und andere trugen.«
»Die er anderen, Reichen, gestohlen hat. Oder den Juden«, sagte Rutgar leise. In der Stille hörte man nur das Kratzen seiner Feder. Roger zuckte mit den Schultern.
Eine große Handvoll Tage nach des Priesters Volkmar wüstem Haufen - an deren bleichenden Gebeinen die Füchse alles Fleisch abgenagt und die Ameisen längst ihr reinigendes Gewimmel begonnen hatten - walzte zur Erntezeit die vierte Rotte über die nördliche Grenze Ungarns: Priester Gottschalk führte viele Tausende an. Die Ernte war kaum eingebracht, da fielen die Pilger über die Bauern, ihr Korn und ihr fettes Vieh her. Sie vergaßen ob des schwellenden Reichtums des Landes das Heilige Grab und den Weg nach Jerusalem. König Koloman, dessen Geduld schon nach Volkmars Pilgerzug erschöpft war, schickte seine Truppen gegen die neuen Eindringlinge und überfiel sie zu einer Stunde, in der niemand an Kampf dachte. Gottschalks Heer gelangte nur wenige Tagesmärsche weit nach Ungarn hinein, ehe sie in erbarmungslose Kämpfe verwickelt und bis auf den letzten Mann niedergemacht wurden - dem Blutbad, das sich über viele Tage hinzog, entging keiner, nicht einmal Hartmann, der »Klopfer« von Dillingen, der lothringische Scharfrichter, dessen Bart- und Haupthaar, einst leuchtend rot, eine fahle Farbe angenommen hatte. Ihre Namen kennen wir von den wenigen Gefangenen, die überlebt haben.
»Ihr Waräger«, sagte Frater Godehard mit seltsamer Betonung, mit scheuer Bewunderung, »und die Petschenegen - ihr seid wahrlich Krieger, die jeder fürchten sollte.«
»Dafür bezahlt uns der Basileus«, bestätigte Roger und fuhr ungerührt fort: »Die Beute für die Ungarn war bedeutungslos - sie fingen wenige Knaben, die verschnitten werden konnten, und die meisten Frauen und Mädchen waren unansehnlich und daher nicht leicht zu verkaufen -, und auch Priester Gottschalks gewalttätige Spur hat sich in den Weiten des Landes verloren, wo die Bauern die Scholle für die Wintersaat umpflügten und den Pflug nicht hoben, wenn die Hufe der Ochsen und die eiserne Pflugschar die ausgedörrten Knochen zersplittern ließen. Nicht einmal die Späher König Kolomans und schon gar nicht der Kaiser in Konstantinopel ahnten, dass Volkmars und Gottschalks grausigen Haufen sozusagen auf dem Fuß noch eine fünfte Rotte folgte, die der Vicomte de Melun anführte.«
Die Grenzwächter König Kolomans von Ungarn wurden bald vor dem fünften Heerhaufen gewarnt und waren auf der Hut: Graf Emicho von Leiningen, der Judenschlächter, führte sein Heer um den Neusiedler See herum nach Ungarn; die Gefahr schien größer zu sein, als man sie von den vier vorhergegangenen Pilgerzügen kannte. Die Gerüchte, die dem Heer vorauseilten, wollten wissen, dass sich dreitausend Berittene und zweihunderttausend Franken zu Fuß näherten, aber so viele waren es indessen nicht; ungefähr nur ein Zehntel dieser Anzahl.
»Zuvor aber haben sie auf ihrem Weg mehr gewütet als die Heere vor ihnen, vor deren Verwahrlosung es den Ungarn grauste. Als Emichos Boten den König baten, den Durchzug des Heeres zu erlauben, verweigerte er ihn und befahl seinen Truppen, die Brücke über die Leitha, den Donauarm bei Mosony, zu sperren - bei Messburg oder Wieselburg, wie ihr Franken es nennt.«
Eineinhalb Monde lang kämpften Emichos Männer, der Vicomte de Melun und dessen Sohn Wilhelm, genannt »der Zimmermann«, gegen die Ungarn und um den Zugang zur Brücke, während sie versuchten, eine eigene Brücke zu schlagen.
In dieser Zeit verwüsteten sie auf der Suche nach Verpflegung, Wein und Weibern gründlich »ihre« Seite des Flusses und gelangten schließlich auf der neuen Brücke ans andere Ufer, vor die Mauern der Stadt. Mosony, wahrlich lange genug gewarnt, verschloss die Tore, bemannte die Mauern und Türme und verweigerte den Plünderern das Betreten der Stadt und jegliche Nahrungsmittel.
Die Franken begannen mit der Belagerung, aber die Belagerten wehrten sich mit dem rasenden Mut der Verzweiflung und töteten eine erkleckliche Anzahl der räuberischen Pilger, die mit Belagerungsmaschinen, Schleudern und Wurfgeräten wohl ausgerüstet waren. Bald schien es, als ob die Stadt verloren
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