Jerusalem
der priesterliche Ritter Volkmar von sich sagte, er habe die Kunst des Redens und die richtige Wahl der Worte von Peter aus Amiens gelernt«, sagte Neidhart leise. »Jener Volkmar hat sich an die Spitze einer stetig anwachsenden Menschenmenge gesetzt, auf zehntausend Köpfe geschätzt, die zuerst rheinauf wanderte und sich dann ostwärts Böhmen zuwandte, auf der Straße nach Ungarn.«
Gottschalk, »falscher Schalk Gottes«, von Peter zurückgelassen, um Nachzügler zu sammeln, folgte einige Tage später dem Eremiten, mit einer Pilgerschar, die um tausend Köpfe mehr zählte als Volkmars Haufen. Seine Pilger benützten die Straße, die Peters von Sehnsucht nach Jerusalem erfüllte Schar gewandert war; die Rheinländer schüttelten die Köpfe und sagten, dass Gottschalk wegen des stechenden Gestanks auch nachts bei Neumond im Fliegengesumm, seinen Ohren vertrauend, wandern könnte, ohne den Weg zu verfehlen. Der »Klopfer« von Dillingen, gräflicher Scharfrichter der lothringischen Herzöge, trabte an Gottschalks Seite.
»Die Juden von Speyer traf es zuerst«, erläuterte Neidhart. »An ihrem Passah-Fest; am zehnten des Ostermonds.«
Ein viertes Heer versammelte sich nahe Mainz um Graf Emicho von Leiningen, der behauptete, durch ein Wunder sei in seine Haut ein Kreuzzeichen eingebrannt, aber Gott habe ihm verboten, es fremden Augen zu offenbaren: Emicho, ein räuberischer, kleinwüchsiger Lehnsherr, dessen Heer aus deutschen und französischen Adligen - und einer Anzahl Gläubiger, die einer gottesgeistbeseelten Gans und einem Ziegenbock folgten - größer und besser bewaffnet war als Peters Pilger und die Volkmars oder Gottschalks. Salm und Viernenberger von Zweibrücken, Hartmann von Dillingen und Drogo von Nesle ritten mit Graf Emicho, dazu Archambaud von Vendeuille, Thomas von La Fére und der bärtige Wilhelm de Melun, dem man wegen seiner riesigen Streitaxt den Furchtnamen »der Zimmermann« gegeben hatte. An seiner Seite ritt sein Vater Dietmar, einst Kaplan des Gottfried von Bouillon und kaum weniger furchtbar in seinem Zorn.
Emicho hatte sieben Pfund Gold dafür verlangt, die jüdische Gemeinde zu Mainz zu verschonen. Er spornte seinen Schecken an der Spitze seiner Spießgesellen zu einem Beginn der Pilgerschaft, wie er ihn sich vorstellte: am 3. Tag des Weidemond griff er im Galopp die jüdische Gemeinde zu Speyer an. Der Erzbischof murmelte: »›Hep!‹« schrien er und seine Gewappneten. »›Hierosolyma est perdita - Jerusalem ist verloren!‹«
»Peter der Eremit, unterwegs zur Donau, ahnte davon nichts,« Neidhart goss gemischten Wein in seinen Becher. Dann besann er sich und füllte den Pokal des Bischofs, dessen Miene ebenso wenig wie die Stimme erkennen ließ, was er fühlte.
»Ich wusste auch nichts vom Geldgeschenk des würdigen Oberrabbiners David Meerboim und seiner Juden an den Amtsbruder von Speyer. Für zweihundert Silbermark unterstellten sie ihm ihr Leben und ihren Besitz.«
Wohlwollend nahm Erzbischof Johann der Erste die Juden unter seinen Schutz. Die bewaffneten Pilgrime Emichos vermochten nur ein Dutzend Juden zu ergreifen; sie erschlugen und beraubten sie, angeblich, weil sie sich nicht zum wahren Glauben des Christentums bekehren wollten. Der Bischof ließ die Mörder ergreifen und strafte sie hart. Um ihre Tugend vor den brandschatzenden, raubenden und schändenden Franken zu retten, stach sich eine hoch geachtete Frau namens Sarah den Dolch ihres Vaters ins Herz. Die Gewappneten des Erzbischofs retteten die meisten Juden, nahmen einige der Mörder und Plünderer gefangen und hackten ihnen die Hände ab; einige köpfte man ohne viel Federlesens.
»Das ist die Botschaft des bischöflichen Schreibers aus Worms.« Neidhart zog das nächste Pergament vom Stapel und reichte es dem Bischof.
In Worms, wo Emicho und sein Tross, vom Gedanken an Beute erhitzter Trupp, am 18. Tag des Weidemonds einritten, ließ er das Gerücht ausstreuen, die Juden hätten die Brunnen durch eine faulende Christenleiche vergiftet. Der Pöbel, der diese Verleumdung allzu gern glaubte, stürmte das jüdische Viertel. Auch hier öffnete der Bischof dem Rabbiner Daniel Gildermann und den flüchtenden Juden die Tore seines Palasts, verteidigte das Bauwerk, aber Emicho und seine Schnapphähne sprengten am 20. Tag des Weidemonds die Tore, stürmten die Bischofsresidenz und töteten mehr als achthundert Juden in einem blutigen Massaker innerhalb der scheinbar sicheren Zuflucht.
»Und hier: Kunde aus Mainz.«
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