Jerusalem
ebenso die Helfer. Rutgar drehte das Schreibbrett ins unstete Licht der Flammen und schrieb das Wichtigste, das er der Erzählung entnahm, unter die Zeilen des angefangenen Briefes an Herrn Neidhart.
Ritter Walter Sans-Avoir, der einige Tage vor Peter dem Eremiten Köln mit fünfzehntausend Pilgern verlassen hatte, erreichte die Grenze des magyarischen Landes am 8. Tag des Weidemonds. Von Peter wussten die Pilger, dass der heilige Stephanus erst vor wenigen Jahren das Land Ungarn zum Christentum bekehrt hatte. Walter Sans-Avoir schickte, ehe er das Land betrat, Boten zu König Koloman. Er bat, mit königlicher Erlaubnis während des Weidemonds durch das Land zu wandern, und dass die Ungarn ihm beim Beschaffen von Proviant helfen sollten. König Koloman, erst 25 Jahre alt, wusste, dass Kaiser Alexios Komnenos in Konstantinopel auf Waffenhilfe gegen die Bulgaren, Serben und Seldschuken angewiesen war und auf ein stattliches Heer wartete. Auf ein Heer - nicht aber auf einen berittenen Haufen gewaltbereiter Plünderer.
Koloman ließ Walter dem Habenichts sein Wohlwollen ausrichten, denn auch das fränkische Heer, zehntausend Köpfe stark, bestand aus Christen. Die Boten Kolomans verpflichteten Walter und sein Gefolge, sich wie gläubige Christenmenschen zu benehmen und Ungarn in gesitteter Ordnung zu durchwandern. Und so durchquerten Walters ärmliche Truppen das Land, ohne dass es zu Gewalttaten kam. Am Ende des Weidemonds erreichten sie die Stadt Semlin, also die südliche Grenze Ungarns, setzten bei Belgrad über den Fluss Save und kamen so auf den Boden, der zum rhomäischen Reich des Kaisers gehörte, in die Provinz Bulgarien.
Der Befehlshaber von Belgrad wusste nicht, was er mit dieser halb siechen, halb verhungerten und schlecht bewaffneten Völkerschar tun sollte; er sah rasch, dass Walters Heer keine Ähnlichkeit mit einem Heer gepanzerter Ritter für Kaiser Alexios hatte. Boten galoppierten zum Statthalter Romaniens, Niketas, der in Nisch residierte. Auch er hatte keine klaren Befehle und schickte seinerseits Boten nach Konstantinopel.
»Lies vor, was du geschrieben hast.« Der Waräger-Hauptmann nippte am heißen Gebräu und nickte schweigend, als sei er dabei gewesen. Er schien wirklich viel zu wissen, dachte Rutgar, hörte aufmerksam zu, schrieb weiter und las jeden Satz den Umstehenden vor.
Walters Truppe begann zu hungern, denn die Ernte stand noch reifend auf dem Feld. Der Not gehorchend fingen Walters Gefolgsleute rund um Belgrad zu plündern an. Als sechzehn seiner Männer, die am anderen Ufer zurückgeblieben waren, einen Basar überfielen, wurden sie von ungarischen Wachen umringt, eingeschlossen und gepackt. Die Ungarn entwaffneten sie, zogen sie aus und peitschten sie nackt, wie Gott sie erschaffen hatte, zurück nach Semlin. Kleider, Rüstungen und Waffen hängten die Ungarn zur Abschreckung anderer Heißsporne über das Stadttor. Dort, wo Walters Mannen sich auszutoben begannen, wurden sie von den Soldaten der Garnison festgehalten; in Kämpfen, die daraufhin rasch ausbrachen, töteten die Ungarn einige Plünderer und verbrannten eine große Anzahl Pilger, ihrer hundertfünfzig, in einem Kirchlein.
Dann befahl man Walter Sans-Avoir, nach Nisch zu ziehen, wo Niketas ihn mit erzwungener Freundlichkeit und Verpflegung empfing, ihn und seinen Haufen aber festhielt, bis die Antwort aus Konstantinopel kam. Kaiser Alexios, so richteten es Walter die Boten aus, war überzeugt gewesen, dass das Christenheer sich nicht vor Mariä Himmelfahrt auf den Weg machen würde. Nun musste er rasch eine Änderung seiner Vorbereitungen treffen, und so befahl er, Walter und das Heer, von kaiserlichen Truppen begleitet, weiterzuschicken. Am Anfang des Heumonds kamen sie friedlich nach Philippopel. Dort starb Walters Oheim, der Alte von Poissy oder »von Poix«, und wurde begraben. Niketas aber, dem Walter von den nachfolgenden Heeren berichtet hatte, ritt ihnen entgegen nach Belgrad und tauschte mit dem ungarischen Statthalter Semlins Botschaften aus.
Bruder Godehard beendete seinen Bericht und sagte wehmütig:
»Dieses Ungarn kam uns Rheinländern wie das Paradies vor. Fruchtbares flaches Land durchwanderten wir, voller Schafe, Rinderherden, Pferde und Weizenfelder. Vergesst nicht die ausgedehnten Wälder Romaniens, duftend von Beeren und Früchten! Niemand von uns brauchte Hungers zu leiden. Es gab auch genügend dunklen Wein aus König Kolomans Fässern, der die Sinne belebte.«
Der Mönch
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