Jerusalem
richtete seinen Blick auf den Eremiten. »Bruder Petrus. Ihr habt unchristliche Eile an den Tag gelegt. Du und deine Gläubigen, ihr müsst gerannt und gehastet sein. Ihr wart wohl alle von heiliger Glut erfasst. Eure Ungeduld trieb euch durch Ungarn. Aber ich vermag nicht zu glauben, dass die Bauern und Hirten von eurer schieren Menge begeistert gewesen sind.«
»Es gab zuletzt keine Plünderungen mehr«, antwortete Rutgar, »also gab es keine Kämpfe.« Peter hörte zu, die Hände gefaltet und den Kopf gesenkt. Rutgar dachte, innerlich schmunzelnd: Immerhin hat König Koloman mein frommes, tapferes Mönchlein ebenso wohlwollend empfangen wie Walter den Reichgewordenen, vormals ›Sinehabere‹.
Er schrieb im Licht der Flammen bedächtig weiter:
Bei Karlovici stießen diejenigen zu uns, die es vorgezogen hatten, die Donau hinunterzufahren. Und da waren wir vierzigtausend Köpfe. In Semlin sahen wir über dem Stadttor die Kleider und Waffen von Sans-Avoirs nackten Plünderern.
Rutgar grinste in sich hinein und ließ den Becher, den Bruder Godehard in den Fingern drehte, wieder füllen. Hauptmann Roger hob die Hand und sagte mit einer dunklen Stimme, die das Befehlen gewohnt war: »Die Boten schlechter Nachrichten reiten schnell. Sie berichteten dem Basileus von den Massakern, die Emicho von Leiningen unter den Juden, den ›Gottesmördern‹, angerichtet hatte. Die Nachricht erreichte wenig später König Koloman und seine Truppenführer; nachdem sich zwei große Heere über Ungarns nördliche Grenzen gewälzt hatten, nach den Ausschreitungen, Kämpfen und Verwüstungen, den brennenden Städten und den Toten, waren die Truppen gewarnt.
Priester Volkmar mit seinem verlotterten, gewalttätigen Haufen erreichte in der Mitte des Weidemonds eine Stadt namens Prag, die wir nicht kennen. Nach dem großen Massaker marschierte sein Heer, mehr als zehntausend Köpfe stark, über die Grenze Ungarns. Nitra war auf ihrem Weg die erste größere Stadt im Land, aber je mehr sich Volkmars betender, grölender und singender Heerhaufen der Stadt näherte, desto schärfer sahen Kolomans Ungarn, dass kein Heer von gottesfürchtigen Rittern, sondern eine zerlumpte, zuchtlose und beutegierige Menge fremder Eindringlinge, von gewissenlosen Anführern und einem rattengesichtigen Prediger geleitet, ins Land eingefallen war wie eine ansteckende Krankheit.«
»Priester Volkmar«, warf Bruder Godehard ein und wies mit dem Becher auf den schweigenden Prediger, »ist in einem Dörfchen nahe Amiens zu Peter dem Eremiten gestoßen. Mit bannenden grünen Augen und in fließendem Kirchenlatein vermag er es mit jedem Angehörigen der Sancta Ecclesia aufzunehmen.«
»So war es wohl. Wir wissen auch nicht alles.« Auf dem hageren Gesicht des Hauptmanns erschien ein kaltes Lächeln. »In Nitra, wo seine Gefolgsleute lagerten, begannen sie bald zu plündern. Was sie den Bewohnern wegnahmen, bezahlten sie nicht. Die Ungarn brauchten nicht lange, um einsehen zu müssen, dass der dritte Pilgerzug von ebenso gewissenlosen Räubern angeführt wurde - beim ersten Kampf, bei dem es Verletzte und Tote gab, griffen die Ungarn rücksichtslos an.«
Die Söldner und die Petschenegen-Anführer hatten sich geschworen, den Fehler der Nachgiebigkeit und der Rücksichtnahme nicht zu wiederholen. Sie zersprengten Volkmars Haufen, nahmen Hunderte Männer gefangen und führten Kinder, Mädchen und Frauen in die Sklaverei. Ebenso viele Pilger wurden erschlagen. Die Überlebenden flüchteten in kleinen Gruppen und versteckten sich im fremden Land so gut, wie sie es verstanden. Zu den Überlebenden zählte auch Volkmar.
Zunächst gelang es vielen, den wütenden Reitern König Kolomans in die Wälder und in Verstecke in der Nähe kleiner Dörfer zu entwischen. Aber als die Ernte begann und die Felder gemäht wurden, entdeckten streifende Reiter die Flüchtigen und hieben sie nieder. Die aufgebrachten Bauern erschlugen sie mit Schmiedehämmern und Dreschflegeln, bemächtigten sich der geringen Habe und ließen die Leichen als Beute für Raben, Füchse und Wildsäue liegen. Vielleicht gelang es einigen aus Volkmars zersprengter Schar, über die Grenze zu entkommen; vielleicht war der Blutpriester Volkmar inmitten des Volks.
Roger spuckte Pflanzenreste ins Gras und redete weiter. Sein sonnenbraunes Gesicht war ohne jeden Schweiß, im Gegensatz zu allen Pilgern, die am Feuer in der Sommerhitze schwitzten.
»Unsere Botenreiter haben sich umgehört. Niemand in Ungarn,
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