Jerusalem
sei.
»Da streuten die von Mosony ein Gerücht aus: König Koloman nahe mit der Macht seines großen Heeres, um die Franken niederzumachen. Gleichzeitig wagten die Belagerten einen Ausfall ins Heerlager der Franken und zerstreuten die Truppen Emichos. Die letzte Schlacht dauerte nicht lange und wurde zu einer wahren Blutorgie; die meisten Franken wurden vor den Mauern Mosonys und in ihrem eigenen Lager getötet. Der Vater des ›Zimmermanns‹, Dietmar de Melun, geriet in einen Hagel aus Armbrustbolzen; als man ihn tot und verblutet fand, glich er dem Bild des heiligen Sebastian, von den Geschossen starrend wie ein vier Ellen großer Igel.«
Emicho und einige seiner verhassten Spießgesellen entkamen auf schnellen Pferden. Ebenso flüchteten, noch ehe man ihrer habhaft werden konnte, die französischen Ritter, der »Zimmermann«, Drogo von Nesle und Thomas von La Fére. Man will wissen, dass sie sich anderen Heeren anschließen wollten, zum Ritt ins Heilige Land.
»Keine Nachricht erzählt von anderen ›Heldentaten‹ oder Schändlichkeiten Emichos, des Grafen von Leiningen; er bleibt hoffentlich für immer verschollen.«
Frater Godehard wollte etwas hinzufügen, aber plötzlich begann Peter der Eremit zu sprechen. Mit prophetischer Stimme sagte er:
»Die Nachricht vom Untergang dreier Kreuzpilgerzüge wird mit den Geflüchteten rasch nach Deutschland und Frankreich dringen. Viele Christen den Verlust so vieler Menschenleben nicht als Schmach empfinden, sondern als furchtbare Strafe, die Gott über die Judenmörder ausgeschüttet hat. Besonnene Menschen werden in den Niederlagen erkennen, dass Gott selbst abweisend über den Aufruf zur Befreiung Jerusalems in Waffen und mit Kriegsgewalt urteilt; die zaghaften Stimmen der Gläubigkeit werden im Geschrei, in lauten Reden und Waffengeklirr untergehen, mit dem sich die Truppen unserer Fürsten sammeln.«
Kapitel VII
A.D. 1096, 15. T AG IM E RNTEMOND (A UGUST ),
M ARIÄ H IMMELFAHRT , T ERTIA , DIE DRITTE S TUNDE
K ÖLN AM R HEIN , S TIFT S T . M ARIEN , R EFEKTORIUM
»Alles Fleisches Ende ist vor mich gekommen; denn die Erde ist voll Frevels von ihnen, und siehe da, ich will sie verderben.«
(1.Mose 6,13)
Schweigend hatten die Mönche das Essgeschirr abgeräumt und ein Dutzend Kerzen gelöscht. Am Kopfende des weiß gescheuerten Refektoriumstisches saßen nur noch der Erzbischof Herrmann von Köln, Graf von Hochstaden, und sein Bibliothekar, der Chorherr Neidhart. Die unbewegte Luft roch schwach nach den Flammen und dem Wachs schwelender Dochte. Vor den Klerikern standen Krüge, ein silberner Pokal, Tonbecher und Schreibzeug, dazwischen lag ein vier Fingerbreit hoher Stapel loser, zugeschnittener Pergamente. Durch die Fensterschlitze unter den Rundbögen zuckten Sonnenstrahlen zu Boden und versanken in den dunklen Platten. Neidhart lehnte sich zurück und hob, als fürchte er, sich die Fingerkuppen zu versengen, ein eng beschriebenes Pergament in die Höhe.
»Es hat furchtbare Ausschreitungen gegeben unter unseren jüdischen Gemeindemitgliedern«, sagte Neidhart leise. »Nicht nur bei uns, auch andernorts. Dies hat Seine Heiligkeit, der Papst zu Clermont, sicherlich nicht bedacht gehabt.«
Der Bischof deutete auf die Pergamente und senkte den Kopf. »Haben wir zu befürchten, dass uns noch Nachrichten über weitere Pogrome erreichen? Nach den Freveln zu Neuss, zu Wevelinghoven, Althoven und Moers vor einundzwanzig Tagen?«
Langsam schüttelte Neidhart den Kopf und raschelte mit den welligen Schreibbögen.
»Nein, Euer Gnaden. Von Prag und Regensburg wissen wir bereits. Die Gewalthaufen haben sich aufgelöst; viele der Herren Raubritter sind in der Fremde getötet worden. Ich habe nachgerechnet - sie haben insgesamt zwölftausend Juden erschlagen, ertränkt oder verbrannt. Nur wenige von diesen haben sich ihr Leben erkaufen können, für einen hohen Preis. Nebst anderen Scheußlichkeiten, über die wir nicht reden und schreiben mögen.«
»Zwölftausend! Zeig her ...«
Während Bischof Herrmann las, erschienen vor seinem inneren Auge Gestalten und Erlebnisse aus seinen Erinnerungen. In viele Auseinandersetzungen war er selbst verstrickt gewesen; er hatte getan, was er konnte. Er hatte einen Teil der Juden auf sieben Dörfer verteilt und in seiner Stadtresidenz versteckt, aber die Marodeure, die von Mainz rheinab gekommen waren, hatten einige von ihnen dennoch aufgestöbert und sich an den übrigen für dieses Manöver gerächt.
»Wir wissen, dass
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