Jerusalem
Mit mühsam erzwungener Ruhe rollte Erzbischof Herrmann das Pergament zusammen, wickelte ein Band darum und griff nach dem nächsten Blatt.
Als Emicho und sein wüster Haufe, mit goldenem Raubgut wohl versehen, noch immer beutegeil, am 25. Tag des Weidemonds Mainz erreichten, waren ihm auf Befehl des Erzbischofs Rothard von Hartesberg die Stadttore verschlossen. Aber innerhalb der Mauern zettelten Emichos Anhänger Ausschreitungen gegen Juden an. Während der Kämpfe wurde ein Christ getötet. Daraufhin öffneten am 26. aufgestachelte Freunde des Emicho die Stadttore; die Juden suchten Schutz in der Synagoge, sandten zweihundert Mark Silber an die weltlichen Herren der Stadt und erwirkten gegen sieben Pfund Gold von Emicho das Versprechen, sie zu verschonen. Vergebens. Emicho und die zwei rotbärtigen Riesen von Melun griffen Rothards Palast an. Der Erzbischof und sein Gefolge flohen, zu Tode erschreckt von der wahnhaften Wildheit der Räuber, aus dem Palast, den Emicho einnahm, plünderte und alsbald anzündete. Die Insassen flüchteten aus den brennenden Mauern und Dachstühlen. Einige Juden schworen ihrem Glauben ab und retteten sich und ihre Familien, alle anderen wurden während eines Gemetzels, das achtundvierzig Stunden dauerte, umgebracht. Viele Juden nahmen sich das Leben, ein reicher Händler zündete, auf dass sie nicht entweiht werde, die Synagoge von Mainz an und entleibte seine Familie und sich selbst.
»Aus Rüdesheim kam dieses Schreiben.« Neidhart kannte den genauen Inhalt der meisten Berichte. Zwischen Ostern und dem Fest Mariä Himmelfahrt hatten sich Hass, Neid, Missgunst und schwarze Rohheit ausgetobt. Die Opfer, ausnahmslos Juden, galten als Mörder des Herrn, aber es war Frevel, sie zu berauben, zu töten und mit Gewalt zu taufen. Aber nur die Juden durften Geld verleihen, und am höchsten waren die Ritter bei ihnen verschuldet.
Oberrabbiner Abraham Kalonymos und ein halbes Hundert seiner Begleiter retteten sich nach Rüdesheim und baten den Erzbischof um Asyl. Als dieser versuchte, die Juden zu bekehren, stürzte sich der Rabbi, aufgebracht vor Verzweiflung, mit einem Messer auf den Gastgeber, was ihn und seinen Anhang bald das Leben kostete. Schweigend las der Bischof von den Gräueln.
»Als Emicho zu uns nach Köln weiterzog, hat man in Worms, Mainz und Rüdesheim viel mehr als tausend tote Juden gefunden. Vom geraubten Besitz sprach niemand, noch wurde er je gezählt oder geschätzt«, sagte Neidhart.
Bischof Herrmann nickte schwer.
»Nichts ist schneller als der Bote des Unheils«, sagte Herr Neidhart, als er die Nachricht über die Ereignisse zu Rüdesheim aufblätterte. »Den Heuschrecken des Peter von Amiens folgen nunmehr die Mörderfreunde des Emicho von Leiningen!«
Herr Neidhart und einige seiner weniger furchtsamen Confratres hatten, erschreckt von so viel ungezügelter Gewalt, einige Szenen in den rauchdurchzogenen Gassen des nächtlichen Köln miterlebt. Am Pfingstsonntag brannten Emichos rot bekreuzte Gefolgsleute die Synagoge nieder und verstreuten lachend die zerrissenen Thorarollen in den Straßen. Neidhart hatte alles mit angesehen. Durch die Gasse hallte das Geschrei eines in der Stadt verbliebenen jüdischen Paares, das sich weigerte, seinem Glauben abzuschwören. Als die Vorderfront der Synagoge mit knisternden Flammen brannte, stützte sich Emicho auf das Sattelhorn. Seine Blicke folgten den Flammen und dem Rauch, die aus den geborstenen Fenstern quollen; in seinen Augen irrlichterte es. »Gott spricht zu uns durch das Feuer. Wo es gebrannt hat, ist alles gereinigt.« Er sog den Brandgeruch genussvoll ein. »Unser Werk ist gottgefällig. Aber hier ist es beendet.«
»Setzen wir es also an anderen Orten fort.« Wilhelm de Melun an Emichos Seite wendete sein Pferd. Aus der Luft senkten sich große Rußflocken. »Unser Weg führt nach Ungarn.«
»Der größte Teil des Heeres wird mir folgen.« Emicho lauschte auf das Gelächter und die Schreie in den Gassen hinter der Synagoge. Seine Männer, denen der Pöbel Kölns half, erschlugen das jüdische Paar. »Morgen geht's mit frohem Sinn am Main entlang.«
Er ruckte am Zügel, setzte die Sporen ein und folgte dem »Zimmermann«.
Am nächsten Tag ritt Graf Emicho mit dem größten Teil des Heeres mainaufwärts auf Ungarn zu. Neidhart wusste, was Erzbischof Herrmann über Juden und Christen dachte. Er selbst hatte mit den Verängstigten in Herrmanns Pfalz geredet und sie zu beruhigen versucht. Murmelnd las der
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