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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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gegenüberliegenden Hang wieder aufwärts, überquerte eine felsige Ebene und führte in ein wasserloses Bachbett voller Geröll und kopfgroßer Kiesel.
    Einige Pfeiler und zwei Bögen einer Brücke aus seltsam glattem weißem Stein, vor Urzeiten zusammengebrochen, waren die einzigen Beweise dafür, dass hier einst Menschen gelebt hatten. Über dem Zug, der drei Meilen lang sein mochte und sich immer weiter auseinanderzog, kreisten Geier und Milane.
    Die Sonne schien am Himmel stillzustehen, trotzdem schwanden die Stunden dahin. Walter der Habenichts und Walter von Breteuil kamen zurück und schwenkten ihre Lanzen. In das Fell ihrer Pferde, über und über voller Staub, hatten die Schweißbahnen bizarre Muster eingefressen.
    »Noch drei Stunden!«, rief Graf Walter. »Ein Lagerplatz mit Wasser.«
    »Ist es schon die Stadt Nikomedia, die auf uns Pilger wartet?«, rief Peter zurück. Seine Stimme war rau wie Sandstein. Graf Walter schüttelte den Kopf. Seine Haut war ebenso rot gebrannt wie die Gesichter und Körper aller anderen. Er warf einen neidischen Blick auf ein Schiff, das lautlos in östliche Richtung durch die Wellen stampfte.
    »Nein. Von einer Stadt haben wir nichts gesehen. Aber der Platz taugt uns. Schatten und Wasser!«
    »Deo gratias«, sagte Peter und bekreuzigte sich. »Wir sind nicht zum Sterben hierhergewandert.«
    Die Nachricht der Vorausreitenden, einen kühlen, wasserreichen Platz gefunden zu haben, setzte sich langsam, murmelnd, anschwellend, hoffnungsvoll, zum Ende des Heerzugs fort, der sich unaufhaltsam durch Hitze, Staub und Fliegenschwärme weiterschob.
 
    Angeblich, so hatten Kaiser Alexios' Waräger-Anführer gesagt, war dieses Grenzland voller Dörfer, in denen Christen lebten. Aber weder Nikomedia, Helenopolis, Kibotos, die Festungsstadt Nikaia noch eine andere Siedlung waren auch nur von fern zu erspähen gewesen. Aber in Nikomedia, einer Siedlung ohne Bewohner - oder schon in Helenopolis -, warteten Proviant und Wein, die der Kaiser geschickt hatte!
    Rutgar hielt nach dem Fremden Ausschau. Er schien in der Menge verschwunden zu sein. Dann betrachtete er Peter, der die hornigen Fersen gegen den Bauch des Esels klopfte und, im Takt der Hufe, mit geschlossenen Augen sicherlich von kühlem Schatten, kaltem Wasser und einem langen Schlaf zu träumen begann.
    Er schlief nicht wirklich, sondern hielt sich auf dem Rücken des unermüdlich trippelnden Esels fest. Rutgars Gegenwart schien ihn zu beruhigen. Das Geschrei seiner Begleiter schreckte ihn in dem Augenblick auf, als der Weg nach vorn zu kippen schien. Peter riss die Augen auf und zerrte am Zügel, dann machten er und seine Begleitung sich an den Abstieg.
    Unter ihnen erstreckte sich im ersten Abendschatten ein ausgedehntes ebenes Tal, von großen Bäumen mit dichten grünen Kronen bestanden. Dazwischen blitzten Sonnenstrahlen auf einem Wasserlauf, der an einigen Stellen zu kleinen Tümpeln aufgestaut schien. Graf Walter winkte vom Ende des Pfades.
    »Genug Wasser für alle!«, rief er. »Der Herr hat's geschickt. Und saftiges Gras für das Viehzeug!«
    Die Pferde einiger Ritter waren schon abgesattelt, zur Tränke geführt und gestriegelt worden. Sie weideten unterhalb einer Felswand, die das Tal abschloss. Die Spitze des Pilgerzugs erreichte den Rand der Hochfläche, und plötzlich war alle Ordnung dahin.
    Die Menschen begannen zu stolpern und zu rennen und ließen ihre Traglasten fallen. Zwischen ihnen sprangen und hüpften die kleinen Herden den Hang hinunter. Die Zugtiere rissen an den Gespannen und konnten kaum gebändigt werden. Peter sah die Sturzflut seiner Anhänger heranrennen, sah Rutgar, der sie zur Seite lenkte, und ritt nach rechts, den Bach aufwärts, um nicht überrannt zu werden. Ein gewaltiges Schreien und Lärmen breitete sich aus und hallte von den Felswänden wider, die an drei Seiten das Tal absperrten. Peter und seine Männer hielten an, als sie das Bachbett voller übermannshohem Geröll erreicht hatten, in dessen Mitte das Wasser sprudelte.
    Hinter ihnen stürzten sich Tausende, miteinander um einen Platz kämpfend, auf die kleinen Seen. Die Knechte der Ritter hatten mit Steinen und losgerissenen Ästen das Wasser zusätzlich gestaut, sodass es schien, es gäbe genug frisches Wasser für jeden. Die Karren rumpelten durch das Gras, die Räder walzten über alles, was in ihrem Weg kniete oder lag, die Zugtiere waren nicht mehr zu halten. Wenige Atemzüge später hatte sich das Tal gefüllt, und es sah aus, als

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