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Jerusalem

Titel: Jerusalem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanns Kneifel
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Rainaldo an der Spitze, gefolgt von Walter Sans-Avoir, den Grafen von Breis und Breteuil und Gottfried Burel, in einer mächtigen Staubwolke den Eremiten und die vordersten Gruppen seiner Leute. Hinter ihnen galoppierten auf leichteren Pferden die Knappen, die Kriegsknechte und einige Dutzende jener Männer, deren Übermut und Eigensinn mit dem Besitz von erbeuteten Waffen und Rüstungen gewachsen waren. Der Weg schlängelte sich an der Küste entlang; in der hitzeflirrenden, unbekannten Ferne des Südens würden sie Nikomedia und die Buchten des Marmarameeres finden.
 
    Jeder Sonnenstrahl war wie eine Nadel aus flüssigem Silber. Die Hitze des Erntemonds trieb aus Blättern, Samenkapseln und der Rinde der hartblättrigen Pflanzen betäubende Gerüche, die mit dem Gestank der Vierzigtausend wetteiferten. Mitunter kam ein feuchtwarmer Hauch vom Meer herauf; diese träge Luft roch nach faulendem Tang, totem Fisch. Möwenkot und nassem Salz. In einer Staubwolke, die zwei Tagesritte weit zu sehen war, wälzte sich das Pilgerheer am Rand des Meeres und am Rand des rhomäischen Landes auf Nikomedia zu, das irgendwo dort liegen musste, wo die Sonne aufging.
    Peter auf seinem Esel führte den Zug an. Etliche Schritte hinter ihm saß Rutgar im Sattel. Der Rappe trottete ohne Zügelhilfe dahin; jede schnelle Bewegung kostete Kraft und rief einen Schweißausbruch hervor. Peter drehte sich halb herum und sagte unvermittelt: »Bisher, viele Monde lang, warst du der Zuverlässigste, Rutgar aus der Provençe. Du kannst alles. Seltsame Bräuche pflegst du; unaufhörlich wäschst du dich, entfernst den Bart, schneidest dein Haar. Vielleicht kämpfst du besser als ein Ritter. Woher kommst du wirklich?«
    Rutgar, der kurz vor der Überfahrt seinen Kinnbart hatte scheren lassen, war von den Fragen überrascht und trabte schweigend weiter, bis er fast an Peters Seite war. Er antwortete, ohne sonderlich lange nachzudenken.
    »Wirklich, Herr Eremit! Aus der Provençe, aus einer Familie, der einst die Burg Beausoleil gehörte. Zerfallen, wie die Familie. Meine Eltern sind tot, mein Vater brennt - nach allem, was ich weiß - zu Recht im Höllenfeuer. Er hat meine Mutter, eine Magd, geschwängert, ein Jahr, bevor er starb. Sie ist bald nach meiner Geburt gestorben. Das weiß ich von anderen; meine Familie hab ich nie richtig kennengelernt, bis auf meinen Halbbruder Thybold.«
    Eine Weile lang trabten sie in der kochenden Hitze schweigend nebeneinander. Peter nickte schwer und antwortete: »Es hat dem Herrn gefallen, dich in frühen Jahren schuldlos zu strafen. Vielleicht sollst du die Schuld deines Vaters sühnen. Und wie bist du aufgewachsen?«
    Rutgar klopfte den Hals des Rappen. Ein Staubwölkchen wallte auf. »Man hat mich geduldet. Ein Kloster nahm mich später auf, ich befuhr die Rhône, fuhr, stolperte und ritt mit dem Tross von Papst Urban, da war ich siebzehn Jahre alt.«
    »War es eine gute oder schlimme Zeit, Jünger Rutgar?«
    Rutgar zögerte lange, bevor er antwortete: »Ich bin wild aufgewachsen, in einem Landstrich, der so karg ist wie dieses Land hier. Buschwerk, Steine und Felsenberge. Philbert, ein Mönch, hat mich schreiben und lesen gelehrt. Viel zu essen gab es nicht, aber ich hab nie richtig gehungert. Die Bauern und Handwerker, bei denen ich geschuftet habe, waren gut zu mir. Und auch im Kloster musste ich nicht darben.«
    »Also kennst du alle Gebete und alle Heiligen.«
    Rutgar lachte verlegen. »Vieles vom gelernten Latein hab ich vergessen. Aber nicht die fünfzehn Monde, die ich bei den Aussätzigen war. Ich hab gelernt, den Kranken zu helfen, ihre Launen zu ertragen, ihren Auswurf von meiner Haut zu waschen - erschrick nicht, Ehrwürdiger: Aber ich habe auch im salzigen Wasser des Meeres gebadet und werde es wieder tun. Ich hab das Schwimmen in der Rhône gelernt.«
    Rutgar grinste; nicht allzu fröhlich, wie es Peters Blick auszudrücken schien. Der Eremit nickte schwer. Herkunft, Armut, Krankheiten: Dies war eine Welt, die Peter kannte. Aber freiwillige tägliche Waschungen? Er rülpste, spuckte aus und dachte wohl an einen großen, in Wein und Honig gesottenen Fisch.
    »Zur Frömmigkeit, zur Demut im Herrn und zum Kampf für die Unversehrtheit des Heiligen Grabes haben dich die Mönche nicht erzogen?«
    »Sie haben's hinreichend versucht.« Rutgars Blicke richteten sich auf die Schiffe, deren Bugwellen und Kielspuren, und auf die seltsamen Muster der Windmarken auf der Meeresoberfläche. »Ich bete leise,

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