Jesus liebt mich
in unserer Gesellschaft – speziell meine Mutter – selbst etwas zu viel über ihr Liebesleben redeten, aber das behielt ich lieber für mich.
«Entschuldige», sagte ich stattdessen kleinlaut.
«Meine Geschwister kamen nach mir auf die Welt.»
«Also hat Maria nachher …», ich konnte mich gerade noch bremsen, bevor die Worte «Sex gehabt» meinen Mund verließen.
«Du denkst sehr logisch», sagte Jesus, und ich meinte, etwas Spott in seiner Stimme zu hören. Dann erzählte er, dass er sowohl Schwestern als auch Brüder hatte. Einem von ihnen, Jakobus, hatte er ebenfalls das Leben gerettet. Eine Natter hatte ihn gebissen. Der kleine Jesus eilte herbei und blies auf die Wunde. Jakobus stand geheilt wieder auf, und die Natter zerplatzte.
Die Natter zerplatzte! Sicher war Jesus damals der coolste große Bruder weit und breit.
«Warum steht von deinen Geschwistern nichts in der Bibel?», fragte ich.
«Sie werden kurz erwähnt, aber …», Jesus stockte.
«Aber …?»
«Sie folgten mir nicht auf meinem Weg», erklärte er enttäuscht.
Jesus hatte also seine Geschwister verloren, um seine Mission zu erfüllen. Das machte ihn sichtlich auch heute noch traurig. Am liebsten hätte ich ihm jetzt tröstend die Hand gehalten. Aber das war natürlich lächerlich. Er war der Sohn Gottes, der brauchte keinen Trost. Schon gar nicht von mir.
25
«Verbringst du stets den ganzen Abend in der Kirche?», fragte Jesus, als er seine Trauer wieder etwas verdrängt hatte.
«Na ja … nicht jeden», antwortete ich, was streng genommen keine Lüge war, denn «nicht jeden» konnte ja auch «gar keinen» bedeuten.
«Ich möchte den Abend so mit dir verbringen, wie du ihn sonst auch verbringst», erklärte Jesus.
Fein. Aber wie verbrachte ich normalerweise meine Abende? Jesus wollte sicherlich nicht mit mir durch die Fernsehkanäle zappen und sich dabei über kostenpflichtige Telefon-Quizfragen aufregen: Wie heißt die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland? a) Berlin oder b) Lufthansa?
Auch hielt ich es für keine gute Idee, mit ihm zu meinem Lieblingsabhängplatz zu gehen. Wie sollte ich ihm die «Nicht unter 18 Jahre»-Abteilung in Michis Videothek erklären?
Also musste etwas Unverfängliches her: zum Beispiel Eis essen in der besten Gelateria der Welt! Sie lag mitten in der Malenter Fußgängerzone. Der Besitzer hatte sogar, um Mittelmeerflair zu erzeugen, etwas Sand aufgeschüttet, wasdazu führte, dass er sich ständig mit Hundebesitzern anlegen musste.
«Das hier ist die beste Erfindung unserer Zeit», deutete ich auf die Banana-Boat-Eisbecher, die uns serviert wurden.
«Das spricht nicht für eure Zeit», erklärte Jesus, dem ein paar Nachhilfestunden in Ironie sicherlich gutgetan hätten.
Wir mampften und schwiegen. Eine ziemliche lange Weile. Das war mir unangenehm. Also versuchte ich das Gespräch nonchalant wieder in Gang zu bringen: «Du wohnst also bei Gabriel?»
«Ja», antwortete er knapp, aber freundlich.
«Hast du ein schönes Zimmer bei Gabriel?»
«Ja.»
Ich musste aufhören, Fragen zu stellen, die man nur mit «Ja» oder «Nein» beantworten konnte.
«Wie findest du denn Malente?», fragte ich also.
«Schön.»
Arghhh! Die Konversation ging den Weg alles Irdischen und erstarb. Das Schweigen wurde nun immer länger. Jede Minute dehnte sich unendlich aus. Am liebsten hätte ich die Verabredung abgebrochen, weil ich keine Ahnung hatte, was man mit einem Messias noch reden konnte. Aber dann wäre ich wohl die erste Frau gewesen, die Jesus bei einer Verabredung einfach sitzenließ. Oder wäre ich das vielleicht gar nicht gewesen? Wäre mal interessant zu erfahren gewesen, ob das schon mal jemand anders getan hatte. Zum Beispiel Maria Magdalena. Aber das war jetzt auch kein angemessenes Gesprächsthema.
«Okay», bot ich ihm schließlich an, «du wolltest doch wissen, wie ich lebe. Also frag mich etwas. Irgendwas. Was immer du wissen möchtest.»
«Einverstanden», sagte Jesus. «Bist du noch Jungfrau?»
Ich verschluckte mich an einem Bananenstückchen. «Wie … wie kommst du denn auf so etwas?», hustete ich.
«Nun, du hast keine Kinder.»
«Das stimmt.»
«Und du bist schon alt.»
Na, vielen Dank.
«Sehr, sehr alt.»
In Sachen Charme brauchte er auch etwas Nachhilfeunterricht.
«In Judäa waren Frauen in deinem Alter schon Großmütter. Oder an Lepra erkrankt.»
Bei dem Wort «Lepra» schob ich meinen Banana-Boat-Eisbecher beiseite. Wie sollte ich ihm erklären,
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