Jesus liebt mich
dass ich keine Kinder hatte? Sollte ich ihm von Marc erzählen, den ich nach dessen Fremdgehen überfahren wollte? Oder von Sven, den ich vor dem Altar stehengelassen hatte? Oder von dem Schwangerschaftscomputer, den ich benutzte und der eine 9 4-prozentige Verhütungsquote hatte, was in meinen Augen mindestens sechs Prozent zu wenig waren?
Nein, das alles wäre viel zu peinlich und unangenehm. Sicher würde er mich dann verurteilen und mir erklären, dass ich in der Hölle schmoren würde. Das einzig Positive daran wäre nur, dass damit das Date höchstwahrscheinlich beendet wäre.
Aber bevor ich überhaupt etwas erwidern konnte, sah ich, wie ein paar von Svens Fußballkumpeln sich näherten. Die waren nach der Geschichte in der Kirche sicher nicht gut auf mich zu sprechen. Und vor allen Dingen würde Jesus durch sie erfahren, was ich dem armen Sven angetan hatte. Das wollte ich um jeden Preis vermeiden!
«Lass uns gehen», bat ich Jesus.
«Wieso?»
«Lass uns einfach gehen.»
«Aber ich habe meinen Banana-Boat-Eisbecher noch gar nicht ganz verzehrt.»
Es war skurril, Jesus das Wort ‹Banana-Boat-Eisbecher› sagen zu hören.
«Man muss ihn nicht aufessen», erwiderte ich ungeduldig.
«Er mundet aber wirklich sehr.»
«Scheiß auf den Eisbecher!», motzte ich.
Jesus blickte mich überrascht an. Aber es war ohnehin zu spät: Die Mannschaftskameraden von Sven standen bereits um uns herum. Es waren vier typische Fußballer, Mitte dreißig. Mit O-Beinen . Und Alkoholfahnen, mit denen man Medizinbesteck hätte sterilisieren können.
Der Stürmer, ein kleiner Typ mit spitzer Zunge, pflaumte mich an: «Du hast Sven das Herz gebro …»
«Verzieht euch», unterbrach ich ihn.
«Stören wir dich bei einer Verabredung?», fragte der Mittelfeldspieler, dem anscheinend niemand verraten hatte, dass die Vokuhila-Frisur nicht mal Don Johnson in Miami Vice gestanden hatte.
«Du bist eine miese Schlampe», ergänzte der Abwehrhüne, ein grobschlächtiger Mann, den man im Verein nur «Kein Mensch, kein Tier, die Nummer vier» nannte.
«Hmmm!», grunzte der Torwart bestätigend. Dieser Typ hatte in seiner Laufbahn ein paar Bälle zu viel gegen den Kopf bekommen.
Ich sah zu Jesus und fragte mich ängstlich, ob er mich jetzt verurteilen würde. All meine Schuldgefühle gegenüber Sven, die ich auch empfunden hatte, als ich im See beinahe ertrank, überrollten mich wieder.
Aber Jesus stand nur auf und verkündete, ganz wie in der Bibel: «Wer frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein.»
«Wir sollen Steine werfen?», fragte der Abwehrhüne irritiert.
«Wäre keine schlechte Idee», meinte der Stürmer maliziös.
«Hmmm», grunzte der Torwart zustimmend.
Ja, mein lieber Jesus, die Zeiten haben sich geändert. Die Fußballer waren so besoffen, sie hätten mich glatt gesteinigt. Vermutlich wären im Suff einige Steine danebengegangen, dennoch wurde mir ganz mulmig zumute.
«Wir sollten jetzt wirklich gehen», raunte ich Jesus zu.
«Wir werden unseren Banana-Boat-Eisbecher zu Ende verzehren», blieb er standhaft, während der Torwart schon mal einen kleinen Stein in die Hand nahm.
«Tut mir leid, aber ich glaube, dass wir mit deiner ‹Halte die andere Wange hin›-Einstellung nicht so weit kommen», mahnte ich.
«Ich werde auch nicht die Wange hinhalten», erklärte Jesus, als er aufstand.
Ach du meine Güte, er wollte sie doch nicht etwa verdorren lassen?
Aber Jesus tat nichts dergleichen, stattdessen schrieb er schweigend etwas mit den Fingern in den Sand. Ich konnte es nicht entziffern, für mich waren es unleserliche Hieroglyphen. Die Fußballer aber starrten auf den Sand. Eine lange Zeit. Dann eilten sie erschrocken davon. Jesus blies in den Sand und wehte so das Geschriebene weg.
«Was … was hast du da geschrieben?», fragte ich.
«Jeder konnte im Sand seine eigene schlimmste Sünde lesen», lächelte Jesus.
Anscheinend hatte er sie ihren Gedanken entnommen.
O Gott, hatte er etwa auch gesehen, was ich Sven angetan hatte?
Jesus sah in mein von Schuldgefühlen geplagtes Gesicht: «Keine Angst, Marie, deine Sünden habe ich nicht in deiner Erinnerung gelesen. Ich tat dies nur bei diesen Männern. Deswegen konntest du es auch nicht entziffern.»
Puhhh.
«Was genau ist eigentlich Sadomaso?», fragte Jesus.
Ich fragte mich, bei welchem Fußballer er das wohl gelesen hatte. Und wie ich solch eine Frage beantworten sollte, ohne rot zu werden.
«Was bedeutet: Steuerhinterziehung? Und was:
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