Jesus liebt mich
Gottes Sohn war dem ehemaligen Engel das unglaublich peinlich.
«Hast du etwas?» , fragte Silvia, die seine Unsicherheit bemerkte.
«Nein … nein» , wiegelte Gabriel ab. Er realisierte, dass er eigentlich gar nichts mehr anderes tat, als zu lügen.
«Hast du was dagegen, wenn Joshua den Abend mit uns verbringt?»
Silvias Blick verriet, dass sie sehr wohl etwas dagegen hatte.
Jesus erklärte: «Ich habe eine andere Verabredung für den Abend.»
Silvia war erleichtert, und Jesus ergänzte höflich: «Ich würde Ihre Dessous gerne ein anderes Mal probieren.»
Das erstaunte Silvia dann doch: «Sie wollen meine Dessous anzieh …?»
Gabriel unterbrach sie hastig: «Lasst uns bitte nicht übers Essen reden, ich habe eine kleine Magenverstimmung.»
Silvia verstand nun gar nichts mehr.
Jesus wandte sich ihr zu und fragte: «Wo ist denn ihr kleiner Tanga?»
Silvia konnte es nicht fassen.
«Gabriel hat mir von ihm erzählt.»
Gabriel bereute es in diesem Moment, dass er zum Menschen geworden war.
«Hat er denn ein glänzendes Fell?» , fragte Jesus höflich.
«Ähem» , antwortete Silvia, «es gibt sicherlich Tangas mit Fell, vielleicht, irgendwo, aber …»
Weiter kam sie nicht, der überforderte Gabriel sagte zu Jesus: «Du kommst zu spät zu deiner Verabredung.»
Er wollte diese Situation einfach nur beenden, und er sah keine andere Möglichkeit, als den Messias hinauszuwerfen. Dabei war es ihm in diesem Moment auch völlig egal, dass der Messias zu Marie ging.
Jesus nickte: «Du hast recht, mein treuer Freund.»
Er verabschiedete sich und schloss hinter sich die Tür zum Pfarrhaus. Gabriel atmete erleichtert durch.
Silvia aber blickte dem Messias verdutzt durch das Fenster in der Tür hinterher und fragte dann Gabriel: «Ist er schwul?»
Gabriel schloss die Augen. Das war alles zu viel für ihn. Er hatte den Sohn Gottes dazu gebracht, Worte wie «Dessous» und «Tanga» auszusprechen. Und er hatte ihn angelogen.
Und vor allen Dingen: Er hatte ihn zu einer weiteren Verabredung mit Marie ziehen lassen!
24
«Was zieht man zu einer Verabredung mit Jesus an?» Diese Frage stellte ich mir, nachdem ich mich geduscht und die Zähne geputzt hatte. Ich stand vor meinem Schrank und suchte mir die züchtigsten und hochgeschlossensten Klamotten aus, die ich nur finden konnte. Eine Bluse, einen Pulli, den man darüberziehen konnte, und eine weite schwarze Hose. So züchtig sah ich das letzte Mal bei meiner Konfirmation aus. Das erste Problem hatte ich also gelöst, aber das zweite immer noch nicht: Was soll man mit einem wie Jesus unternehmen?
Gerne hätte ich mit meiner Schwester über das Thema geredet, aber sie hatte mir einen Zettel hinterlassen, dass sie am See zeichnen war. Und dass ich mir keine Sorgen machen müsse, die Testergebnisse wären gut gewesen.
Wer weiß auch, was Kata mir geraten hätte? Wohl etwas in der Richtung: «Hey, zeig doch Jesus mal ein paar Tumorkranke und frag ihn nach Gottes Liebe zu den Menschen.»
Ich fragte mich, ob man so etwas vielleicht wirklich tun sollte und ob man für so eine Frage nach Gott nicht jede Menge Ärger bekommen würde. Und ob es, wenn es einen Jesus gibt, auch eine Hölle gab. Und ob man darüber überhaupt nachdenken sollte, wenn man nachts noch gut schlafen möchte.
Da betrat Papa das Zimmer und sagte: «Können wir reden?»
«Du, ich muss gleich los», antwortete ich und hoffte, so einem «Swetlana ist ganz anders, als du denkst»-Gespräch zu entgehen.
«Swetlana ist ganz anders, als du denkst», sagte Papa.
Ich seufzte und fragte: «Ach, sie ist noch schlimmer?»
Papas Augen wurden nun traurig. Es ist schon beeindruckend, wie traurig Augen werden können, wenn sie einem alten Mann gehören.
«Sie liebt ihre Tochter sehr.»
«Wie schön», antwortete ich bissig. Als ob das etwas ändern würde.
«Ist es denn so schwer vorstellbar, dass mich jemand liebt?», wollte er wissen.
«Nein, aber dass so eine dich liebt», erwiderte ich, eine Spur zu ehrlich.
Er schwieg. Er wusste anscheinend genau, dass ich recht hatte. Doch dann sagte er: «Aber wenn sie mich glücklich macht, ist es dann nicht ganz egal, ob sie mich liebt?»
Es gibt Fragen von Verliebten, die verzweifelter sind. Aber nicht viele.
Ich hätte Papa am liebsten so lange geschüttelt, bis der Teil seines Gehirns, in dem Swetlana abgespeichert war, aus seinem Ohr rausplumpste. Stattdessen aber streichelte ich ihm nur über seine alte, faltige Wange. Doch er schob meine
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