Jesus liebt mich
folgen, und dazu sollte er Truppen für die Endschlacht sammeln. Da fiel sein Blick auf den Zeichenblock der Frau, und er erkannte, dass sie einen Comicstrip zeichnete:
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Diese Frau mochte Gott anscheinend ähnlich gerne wie Satan selber. Er betrachtete sie genauer und erkannte in ihrem Kopf den Tumor. Eine Krankheit, die er sich nicht ausgedacht hatte, auf die er noch nicht mal gekommen wäre, sie war einfach in dem System der Natur, und er hatte nie so recht begriffen, warum. Vielleicht hatte der Tod seine Hände im Spiel. Der Kerl war echt unangenehm.
Eins war jedenfalls klar: Diese willensstarke Frau hatte nicht mehr lange zu leben. Höchstens ein, zwei Monate.
Und sie war voller Wut auf Gott. Sicher wäre sie eine gute Kandidatin für den Reiter namens «Krankheit».
30
Während wir Hand in Hand auf dem Steg saßen und die ersten Strahlen der Sonne auf uns schienen, fühlte ich mich Joshua nahe. Joshua. Nicht Jesus.
So nahe, wie ich mich lange keinem Mann mehr gefühlt hatte. Und so fest, wie Joshua meine Hand hielt, und dabei auch noch so sanft, ging es ihm mit mir – so wagte ich jedenfalls zu hoffen – nicht anders.
Hier und jetzt, beim Sonnenaufgang am Malenter See, waren wir einfach nur Marie und Joshua. Nicht M.o.n.s.t.e.r. und Messias.
Doch leider besaß ich das unglaubliche Talent, jeden noch so schönen Moment zu zerstören. Denn wenn etwas schön war, wollte ich, dass es ewig währt. Da das aber nicht möglich war (irgendwann musste man ja sicher mal auf Lokus), wollte ich wenigstens, dass ich so etwas Wunderbares immer wieder erleben durfte.
«Glaubst du, dass wir beide nochmal so einen schönen Abend miteinander verbringen können?», fragte ich beschwingt.
Joshua blickte mich nur wehmütig an. Was war los? Durfteein Sohn Gottes nicht mit einer Sterblichen zusammen sein? Hatten wir etwas Verbotenes getan? Hätte ich nicht einfach meine Klappe halten können? Warum hatte ich nicht einen eingebauten Knebel, der meinen Mund verstopft, immer wenn ich drauf und dran war, etwas Blödes zu fragen?
«Es war wirklich ein wunderschöner Abend.»
Er fand den Abend auch schön! Nein, sogar wunderschön!!!
«Aber leider werden wir nicht noch einen gemeinsam erleben dürfen.»
Das traf mich tief ins Mark. Traurig fragte ich: «W … warum denn nicht?»
«Weil ich eine Aufgabe zu erfüllen habe.»
Er klang dabei nicht erfreut. Und ich war verwirrt. Eine Aufgabe? Machte er nicht einfach nur mal so einen Urlaubsausflug vom Himmel?
«Was für eine Aufgabe?», wollte ich wissen.
«Hast du nicht die Bibel gelesen?», fragte er erstaunt.
«Doch, doch, sicher, natürlich …», stammelte ich. Ich traute mich einfach nicht, ihm zu erklären, dass ich keine Ahnung von der Bibel hatte und auch fand, dass man sie sprachlich mal modernisieren sollte.
«Dann weißt du auch, warum ich auf Erden wandele.»
Er zog seine Hand weg. Das versetzte meinem Herzen einen Stich. Dann nahm er seine Schuhe und stand auf. «Lebe wohl, Marie.»
«Lebe wohl? Werden wir uns … nie wiedersehen?», fragte ich. Das wurde ja immer härter.
Statt eine klare Antwort auf diese Frage zu geben, sagte Joshua etwas Wunderbares: «Du hast mir viel gegeben.»
Ich hatte ihm viel gegeben? Es war kaum zu fassen.
Dann strich er mir sanft mit seiner Hand über die Wange.
Ich war kurz davor, vor lauter Wohlgefühl in ein Spontankoma zu fallen.
Dann nahm er die Hand wieder von meinem Gesicht.
Mir wurde ganz kalt.
Und Joshua verließ den Steg Richtung Ufer.
Ich wollte ihm «Bleib!» hinterherrufen, doch ich bekam keinen Laut heraus. Es schnürte mir einfach zu sehr das Herz zu, dass er auf dem Uferweg des Malenter Sees aus meinem Leben ging.
Natürlich war meine Hoffnung absurd gewesen, dass ich noch einmal mit Joshua so einen Abend erleben durfte. Oder Tausende. Aber Wissen schützt nicht vor Schmerz.
Meine Trauer hatte es schon fast geschafft, mich komplett zu überwältigen, da schoss mir ein Gedanke durch den Kopf: Aufgabe? Was für eine Aufgabe?
Kurze Zeit später klingelte ich an der Tür von Michis Videothek Sturm. Er machte auf, diesmal noch unausgeschlafener als am Tag zuvor. Er hatte ein T-Shirt an, mit der Aufschrift «Hier gibt’s nichts zu sehen!».
«Was ist Jesu Aufgabe?», platzte es aus mir heraus.
«Häh?»
«Was ist Jesu Aufgabe?!?»
«Schrei mich nicht an.»
«ICH SCHREIE NICHT!»
«Dann möchte ich nicht wissen, wie es ist, wenn du
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