Jesus liebt mich
Schweigen und stellte fest: «Es sieht mir nicht danach aus, als ob du den Geist meiner Worte erkannt hast.»
«Ich hab noch bis heute Nachmittag», widersprach ich leise.
«Wirst du denn bis dahin nach der Bergpredigt leben können?», fragte Jesus, in seinen Augen lag so etwas wie eine kleine Resthoffnung.
«Ja klar», antwortete ich.
«Ehrlich?»
«Nein.»
Jesus blickte mich erstaunt an. Ich überlegte, ob ich ihm erklären sollte, dass man nicht von einem Tag auf den anderen alles in der Bergpredigt beherzigen könne, dass ich Zeit bräuchte, um das alles umsetzen zu können, so schätzungsweise fünf bis vierzig Jahre.
«Das … schafft man nicht so schnell …», stammelte ich schließlich.
«Meine Jünger, bis auf Judas, haben es sofort nach meiner Predigt tun können.»
«Vielleicht … vielleicht muss man live dabei gewesen sein», argumentierte ich eher schwach.
«Maria Magdalena hat auch danach gelebt, nachdem Petrus ihr von der Bergpredigt berichtet hatte.»
Na, wunderbar. Jetzt redete er auch noch über seine Ex! Im Schatten von Exfreundinnen zu stehen ist ja nie angenehm, aber ich stand wohl gerade in dem größten Exfreundinnen-Schatten der Weltgeschichte. Was sollte ich jetzt noch tun? Um die Welt zu retten? Und unsere Freundschaft? Durfte ich vielleicht sogar von «Liebe» reden? Von meiner Seite schon. Aber von seiner? Nun, manchmal sah er mich so an … wenn er Joshua war … nicht Jesus. Aber das würde er wohl nie wieder tun.
Oder? Was riet nochmal die goldene Regel? Ich sollte tun, was ich wollte, das man mit mir macht!
Bei dem Anblick seines wunderschönen Gesichtes wollte ich nur noch eins, bevor Joshua nach Jerusalem fuhr: von ihm geküsst werden! Was hatte ich denn jetzt noch zu verlieren? Also beugte ich mich auf dem Steg langsam zu ihm. Ich nahm sein wunderbares, sich leicht rau anfühlendes Gesicht in meine beiden Hände und näherte mich mit meinen Lippen den seinen.
Der überraschte Joshua stammelte nur: «Marie …»
Ich sagte nur leise: «Schhh … Das ist alles im Sinne der Bergpredigt.»
Bevor der überrumpelte Joshua fragen konnte, wieso es das sei, küsste ich ihn.
Nur ganz leicht.
Wie ein Hauch.
Die Berührung unserer Lippen dauerte nur einen fast kaum wahrnehmbaren Wimpernschlag.
Aber für diesen einen Wimpernschlag fühlte ich mich wie im Himmel.
44
Unterdessen
Satan stand vor der Arztpraxis, in der Kata sich einen dringenden Termin hat geben lassen, da sie schon seit fast vierundzwanzig Stunden ohne Schmerzen war. Der Fürst der Finsternis war diesmal nicht als George Clooney unterwegs, sondern als die schlanke schwarze Soul-Diva Alicia Keys. Er wusste, dass er so Katas Schönheitsideal am nächsten kam. Obwohl er die Seele der Zeichnerin schon besaß, wollte er besonders verführerisch für sie wirken, faszinierte sie ihn doch sehr. Wenn er die Endschlacht gewinnen sollte, könnte sie vielleicht neben ihm auf dem Thron sitzen, den er aus den Knochen des Messias erbauen wollte.
«Hey, Schoko!» , wurde Satan plötzlich aus seinen Gedanken gerissen. Zwei halbwüchsige Skinheads näherten sich ihm. Normalerweise waren tumbe Skins ja eine seiner Kernzielgruppen – und dass er sich in der Hölle mit solchen Typen befassen musste, war ein weiterer Aspekt seines Jobs, der ihn zunehmend deprimierte – , aber diese Skinheads waren gerade auf Krawall aus.
«Verpiss dich aus unserem Ort, Negerschlampe!» , drohte der Kräftigere der beiden.
«Tu mir den Gefallen und lauf mit vollem Tempo gegen die Wand» , bedeutete ihm Satan mit seiner souligen weiblichen Stimme, und der Skin lief – wie ihm geheißen – mit Anlauf gegen die nächste Backsteinmauer. Der andere Skinhead wurde bleich, als er das sah.
«Und du» , sprach Satan zu ihm, «geh in das nächste asiatische Kung-Fu-Studio und sag zu dem Großmeister dort: ‹Gelber Sack.›»
«Wird gemacht.» Der Skinhead rannte eifrig davon.
Da trat endlich Kata aus der Praxis heraus. Den am Boden
liegenden Skinhead nahm sie gar nicht wahr. Sie war viel zu verwirrt. Sie war auch erleichtert, aber hauptsächlich verwirrt. Der Tumor war weg! Wie durch ein Wunder. Es war unfassbar. Hatte der Jesus-Freak was damit zu tun oder der durchgeknallte Clooney? Plötzlich sah sie Alicia Keys vor sich stehen. Kata rieb sich die Augen.
«Hallo» , sagte Alicia Keys.
«Hallo …» , antwortete Kata, es gab keinen Grund für sie, unhöflich zu sein.
«Darf ich mich vorstellen? Ich bin Satan» ,
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