Jesus von Nazaret
Aufgabe des Vaters. Von seinem Vater Josef wird auch Jesus gelernt haben, dass es nur einen Gott gibt, Jahwe, und nicht viele Götter, wie die Heiden es glauben, und dass dieser Gott seinem Volk Gesetze gegeben hat. Wie jeder Jude war Josef stolz auf das Gesetz. Er empfand es nicht als Last, sondern als eine Gabe, denn die sechshundertdreizehn Gebote des Alten Testaments waren der Weg zum Heil.
Allerdings waren Josef und seine Familie einfache Leute, die die Vielzahl der Gesetze nicht so streng einhalten konnten wie die Pharisäer. Jesus wird aber gelernt haben, die wichtigsten Gebete zu sprechen, die Sabbatruhe und die Reinheitsvorschriften einzuhalten. Und er wird erfahren haben, auf was für eine lange Geschichte das Volk Israel zurückschauen konnte und wie Gott immer wieder seine Treue zu diesem Volk bewiesen hatte. Vor allem damals, als die Israeliten Knechte des Pharaos in Ãgypten waren und Gott sie mit mächtiger Hand aus der Gefangenschaft befreit und in das gesegnete Land geführt hatte.
Wie alle Kinder in diesem Alter, kam Jesus mit fünf Jahren in die Schule, das heiÃt, er ging in die Synagoge,die es in jeder Gemeinde in Palästina gab, auch wenn sie noch so klein war. Die Synagoge war keine Kirche und kein Tempel, sie war eher ein Versammlungsraum, wo die Gläubigen zusammenkamen, um zu beten oder die Schriften zu studieren. Die Synagoge in Nazaret war kein prunkvoller Bau, sondern ein schlichtes rechteckiges Gebäude, dessen Eingang nach Süden wies, nach Jerusalem. Mittelpunkt des Raumes war eine hölzerne Lade, der Thoraschrein, in der die Schriftrollen verwahrt wurden. Davor stand ein Pult, an dem bei den Gottesdiensten aus den Schriften vorgelesen wurde.
Die Synagoge war zugleich auch Schulhaus für die Kinder oder, genauer gesagt, für die Jungen, denn Mädchen und Frauen waren vom Unterricht ausgeschlossen. »Besser, das Gesetz geht in Flammen auf, als dass es in die Hände von Frauen gerät«, war ein Spruch, der viel über die Stellung der Frau in der damaligen jüdischen Welt aussagt. Es waren also die Jungen des Dorfes, die auf dem Boden im Kreis um den Lehrer saÃen und in der Thora unterrichtet wurden, indem sie im Chor laut die Sätze wiederholten, die der Lehrer vorsprach.
In welcher Sprache? Die Muttersprache von Jesus war Aramäisch. Teile der Thora waren auch in diese Sprache übersetzt, aber ursprünglich war sie in hebräischer Sprache verfasst. Es ist wahrscheinlich, dass Jesus in der Schule auch Hebräisch lernte, jedenfalls die Grundlagen. Bei seiner religiösen Volljährigkeit, der Bar Mizwa, mussteer aus der hebräischen Thora vorlesen. Als Erwachsener bewies Jesus oft, wie gründlich er sich in der Bibel auskannte. Er war nie Schüler eines berühmten Lehrers gewesen, alles, was er wusste, hatte er in der Synagoge in Nazaret gelernt oder es sich selber beigebracht. Wenn später die Leute miterlebten, wie Jesus die Heiligen Schriften auslegte, waren sie so beeindruckt, dass sie ihn mit »Rabbi« anredeten, obwohl er kein Schriftgelehrter war, sondern Jesus aus Nazaret, der »Sohn des Zimmermanns«.
Jesus verbrachte seine Kindheit und Jugend in der kleinen Welt seines Heimatdorfes. Doch obwohl Nazaret abgelegen lag, war es doch nicht aus der Welt. Die Zeiten waren unruhig, und von den Machtkämpfen, die sich in Jerusalem zutrugen, blieb auch das ferne Galiläa nicht unberührt. Wenn Jesus auf die nahen Berghügel stieg, hatte er einen weiten Blick ins Land und konnte bis zur nur wenige Kilometer entfernten Stadt Sepphoris sehen, wo inzwischen Antipas, ein Sohn Herodesâ des GroÃen, residierte. Antipas hatte Sepphoris wieder aufbauen lassen, nachdem es völlig zerstört worden war. Der von der brennenden Stadt rot gefärbte Himmel muss weithin sichtbar gewesen sein. Und die Nachrichten von den schrecklichen Ereignissen in dieser Stadt waren sicher bis nach Nazaret gedrungen. Vielleicht waren auch Leute aus Nazaret bei den Kämpfen ums Leben gekommen oder es hatten sich Flüchtende hier versteckt.
Die Unruhen waren nach Herodesâ Tod ausgebrochen, als keiner wusste, wer Palästina in Zukunft regieren würde. Die drei noch lebenden Söhne, Archelaus, Antipas und Philippus, beanspruchten das Erbe des Vaters. Während Archelaus und Antipas nach Rom eilten, um sich die Gunst des Kaisers zu sichern, kam es in Jerusalem zu einem blutigen Aufstand der Juden gegen
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