Jesus von Nazaret
Judäa unter direkte römische Verwaltung. In Zukunft sollte ein Prokurator die neue Provinz regieren. Der Erste, der mit diesem Posten betraut wurde, war ein gewisser Coponius. Einer seiner Nachfolger wurde später Pontius Pilatus.
Auch die Steuern mussten nun direkt an Rom gezahltwerden. Grundlage hierfür sollte eine Volkszählung sein, die der neue Prokurator zusammen mit dem schon genannten Quirinius, dem neu ernannten Statthalter von Syrien, durchführen sollte. Wegen dieses neuerlichen Zensus kam es wieder zu gewaltsamen Unruhen. Der Kopf des Widerstandes war wieder jener Judas aus Galiläa, ein Schriftgelehrter. Er forderte seine Landsleute dazu auf, sich zu weigern, Steuern an die Römer zu zahlen. Das war für Judas die zwingende Konsequenz aus dem Gebot, keinen anderen Herrscher als Gott allein anzuerkennen. Für die Römer waren solche Aufrufe natürlich hoch gefährlich, und sie unternahmen alles, um diesen Judas mundtot zu machen. 29
Judas, der Galiläer, wurde schlieÃlich getötet, aber seine Lehren wirkten wie ein Lauffeuer, das sich unaufhaltsam ausbreitete. Immer mehr Juden, Zeloten wurden sie genannt, griffen aus religiöser Ãberzeugung, aber auch aus wirtschaftlicher Not zu den Waffen. Sie verlieÃen ihre Familien und versteckten sich in den Höhlen der Golan-Berge. Von dort führten sie einen Guerillakrieg gegen die Besatzer. Sie überfielen römische Kohorten und verübten Attentate auf reiche und hochgestellte Römer.
Die Zeiten waren unruhig und gefährlich. Auch aus diesem Grund reisten die Pilger vom Lande nur in Gruppen nach Jerusalem. Eigentlich schrieb das Gesetz vor, dass jeder Gläubige dreimal im Jahr, zu den groÃen Festen, nach Jerusalem wallfahrten sollte. Von den »am-ha-aretz«, den Leuten vom Lande, wurde die strenge Einhaltung der Gebote nicht erwartet. Für die meisten genügte es, einmal im Jahr in das religiöse Zentrum zu kommen.
Nach Lukas gingen Josef, Maria und ihr zwölfjähriger Sohn Jesus zum Passahfest nach Jerusalem. Diese dreitägige Reise machten sie gemeinsam mit einer Pilgergruppe, zu der auch viele Bekannte und Verwandte aus Nazaret gehörten. Nach Jerusalem führten mehrere Wege. Die Pilger aus Galiläa bevorzugten den Weg entlang des Jordans bis zur Stadt Jericho. 30 Von Jericho aus ging es dann ständig aufwärts durch die Bergwüste Juda mit ihren tiefen Schluchten und steilen Passwegen.
»Blutsteige« wurde dieser Weg genannt, wegen des roten Gesteins und weil hier häufig Wanderer von StraÃenräubern überfallen wurden. Die biblische Geschichte vom barmherzigen Samariter, der sich um einen von Räubern zusammengeschlagenen Mann kümmert, soll sich hier zugetragen haben. Am Ende des gefährlichen Steiges lag ein Rastplatz mit einer Quelle. Nach einer Pause zogen die Pilger weiter am Ort Betanien vorbei auf den Ãlberg. Hier öffnete sich unter ihnen das tief eingeschnittene Kidrontal, und jenseits davon lag das Ziel ihrer Reise: Jerusalem.
Für die Pilger vom Lande und besonders für einen zwölfjährigen Jungen muss der Anblick atemberaubend gewesen sein. »Wer nicht den Bau des Herodes gesehenhat«, sagte ein Sprichwort, »hat nie etwas Schönes gesehen.« Flavius Josephus berichtet 31 , dass der blendend weiÃe Marmor der Tempelanlage von ferne aussah wie Schnee auf einem Hügel. Und das Tempelhaus, der heilige Mittelpunkt der Anlage, war mit goldenen Platten verkleidet, die in der Sonne so stark glänzten, dass man seine Augen bedecken musste. Vor fünfundzwanzig Jahren, 19 v. Chr., war mit dem Bau des neuen Tempels begonnen worden und die Arbeiten daran waren noch längst nicht beendet.
Vom Ãlberg aus konnte man auch die Ströme von Pilgern sehen, die von allen Seiten, laut singend und betend, in die Stadt drängten. Flavius Josephus übertreibt jedoch maÃlos, wenn er sagt, dass zu den groÃen Festen zwei bis drei Millionen Besucher nach Jerusalem kamen. Einige Hunderttausend dürften es aber gewesen sein. Vor den Toren der Stadt entstanden Zeltlager, in denen die Pilger notdürftig kampierten. Wer Glück hatte, konnte einen Platz in einer Herberge finden oder bei Verwandten unterkommen.
Wer von Jericho nach Jerusalem kam, der musste den Bach Kidron überqueren und dann den gewundenen Weg hinaufsteigen zum Plateau der Tempelanlage. Ãber sich hatten die Pilger die hochragenden Mauern
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