Jesus von Nazaret
könne. Dieses Vertrauen gehörte für Jesus zum Glauben. »Mensch«, sagte er zu dem Gelähmten auf der Trage, »deine Sünden sind dir vergeben.« Und dann forderte er ihn auf, sich zu erheben, sein Bett zu nehmen und nach Hause zu gehen. Und tatsächlich stand der Mann auf, nahm die Trage und bahnte sich damit einen Weg durch die Menge. (Lk 5,17-26)
Alle, die diese Heilung mit eigenen Augen gesehen hatten, staunten über dieses Wunder. Aber Wunderheiler gab es viele zu jener Zeit. So auÃergewöhnlich war das nicht. Was die Leute wirklich betroffen machte, war die Art, wie Jesus auftrat und wie er lehrte. Wenn ein normaler Rabbi die Schrift auslegte, dann wägte er die verschiedenen Lehrmeinungen sorgfältig gegeneinander ab. Und wenn er zu einem Schluss kam, war das nicht seine eigene Meinung, sondern er berief sich auf die Autoritätder Väter, etwa darauf, was Mose gesagt hatte. Sogar die Propheten sahen sich als menschliche Werkzeuge Gottes und nahmen sich selbst nicht wichtig.
Jesus dagegen benahm sich so, als ob mit seiner Person Gott höchstpersönlich anwesend wäre. Er zeigte wenig Respekt vor den Lehren der »Alten«. Er zitierte zwar Mose und die Propheten, setzte aber sein eigenes Wort dagegen. »Amen, ich aber sage euch«, so leitete er oft seine Rede ein und behauptete damit, dass sein Urteil richtiger und wichtiger war als das eines Mose oder eines Propheten. Jesus berief sich nicht auf eine menschliche Autorität, sondern er sprach für sich oder aus sich. Dabei zeigte er nicht dauernd auf sich und stellte seine eigene Person in den Vordergrund. Sein Ich setzte er gleich mit dem Ich Gottes. Und damit nicht genug. Er nahm sogar für sich in Anspruch, Sünden vergeben zu können, was für einen rechtgläubigen Juden nur Gott konnte. War es nicht ein ungeheurer Skandal, dass dieser Jesus sich anmaÃte, im Namen Gottes zu sprechen? War das nicht Gotteslästerung?
Die Schriftgelehrten jedenfalls, die das Auftreten Jesusâ in Kapernaum beobachteten, waren entsetzt. Wie konnte ein normaler Mensch reden und handeln, als wäre er Gott? Die naheliegendste Erklärung für sie war, dass es sich hier um einen Betrüger handelte oder um einen wahnsinnigen Hochstapler. Wer dieser Jesus in Wirklichkeit war, das wussten doch alle. Er kam aus Nazaret undwar der Sohn eines Zimmermanns. Wahrscheinlich war er eines Tages verrückt geworden und aus seinem Dorf davongelaufen. Hörte man nicht, dass seine Familie auf der Suche nach ihm war?
Maria und ihre Kinder scheinen tatsächlich nach Jesus gesucht zu haben, offenbar um ihn wieder nach Hause zu holen. Eines Tages fanden sie ihn auch, aber Jesus war wieder in einem Haus von so vielen Menschen umringt, dass sie nicht zu ihm vordringen konnten. Sie lieÃen nach ihm rufen, und man teilte Jesus mit, dass seine Mutter, Brüder und Schwestern drauÃen stehen würden und mit ihm reden wollten. Jesus schien keinen Wert darauf zu legen, seine Familie zu sehen. Wie schon der Zwölfjährige in Jerusalem, so zeigte sich der erwachsene Mann auch jetzt wieder äuÃerst kühl und gleichgültig gegen seine Verwandtschaft. »Wer sind meine Mutter und meine Brüder?«, fragte er in die Runde, und indem er den Blick über seine Begleiter schweifen lieà und auf sie zeigte, antwortete er sich selbst: »Das hier sind meine Mutter und meine Brüder und Schwestern! Denn wer den Willen meines himmlischen Vaters tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.« (Mt 12,46-50 parr)
Sosehr Jesus auf die Menschen zuging und von dem täglichen Andrang manchmal fast erdrückt wurde, so sehr brauchte er auch wieder die Stille und die Einsamkeit. Nach einem solchen Tag mit vielen Gesprächen und Begegnungen stand er schon früh morgens auf, als esnoch stockdunkel war, und ging aus Kafarnaum hinaus an einen stillen Ort, um für sich zu sein. Die Einsamkeit war seine Kraftquelle. Es war, als würde er in der Stille auf eine innere Stimme lauschen, auf die Stimme Gottes, von der er immer wieder aufs Neue in seiner Sendung bekräftigt wurde. Gegenüber seinem Vater war Jesus ein Hörender. Alles, was er war, hat er von seinem Vater empfangen. Und das war gleichzeitig die Voraussetzung dafür, ganz für Menschen da zu sein. Empfangen und Geben, totale Ausrichtung auf Gott und tiefste Mitmenschlichkeit gehörten für ihn zusammen.
Als Simon
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