Jesus von Nazaret
sechzehnten Jahrhundert in der südspanischen Stadt Sevilla, zu einer Zeit, als die heilige Inquisition Tausende von Ketzern verbrennen lieÃ. Jesus wird von den Menschen sofort erkannt. Er heilt einen blinden Mann und erweckt ein totes Mädchen zum Leben. Als der greise Kardinal und GroÃinquisitor das sieht, lässt er Jesus sofort ergreifen und in den Kerker werfen.
In der Nacht besucht der Kirchenmann den Gefangenen und will ihm klarmachen, warum Jesus stört und wieder verschwinden muss. Jesus habe nämlich immer nur die Freiheit der Menschen gewollt, auch die Freiheit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Damit aber habe er die Menschen, die von Natur aus schwach und ängstlich sind, maÃlos überfordert. Als damals Jesus in der Wüste vom Teufel versucht worden ist, habe der Teufel die Menschen besser gekannt, und seine Vorschläge seien das einzige Rezept, die Menschen glücklich zu machen.
Für die Menschen, so erklärt es der GroÃinquisitor, ist es nämlich eine Qual, frei zu sein. Sie werden immerbereit sein, lieber Brot als die Freiheit zu wählen. Und sie werden sich immer jenen unterwerfen, die ihnen ihre Freiheit abnehmen und ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben und was gut und böse ist. Darum haben Menschen wie der GroÃinquisitor, die das Erbe Jesu verwalten, den Menschen im Namen Jesu diese unerträgliche Verantwortung, die Jesus verlangte, abgenommen und ihnen zu einem zwar unfreien, aber glücklichen und zufriedenen Leben verholfen. Nach Ãberzeugung des GroÃinquisitors hat der Teufel die Menschen besser verstanden und mehr geliebt als Jesus. Denn er wusste, dass Jesus die Menschen überfordert, und sie nichts mehr wünschen, als von der Freiheit, die Jesus ihnen geben will, befreit zu werden, um ein gesichertes Leben in materieller Sicherheit und ohne dauernde Gewissensqualen zu führen.
In Dostojewskis Geschichte schweigt Jesus die ganze Zeit über. Als der GroÃinquisitor mit seiner langen Rede zu Ende ist, will er, dass Jesus etwas erwidert. Aber der tritt nur auf den alten Mann zu und küsst ihn, wie es heiÃt, auf die »blutleeren neunzigjährigen Lippen«. Der Greis fährt zusammen und seine Mundwinkel zucken. Dann öffnet er Jesus die Tür des Kerkers und fordert ihn auf, zu gehen und niemals wiederzukommen.
Auch in der biblischen Geschichte ist der Teufel in der Wüste mit seinem Latein am Ende. Er lässt Jesus in Ruhe â vorläufig jedenfalls. Nach der Begegnung mit dem Teufelhat Jesus Johannes hinter sich gelassen und mit ihm auch den Geist der Sekte von Qumran. Im Unterschied zu Johannes bleibt er nicht in der Wüste und wartet, dass die Menschen zu ihm kommen. Vielmehr geht er zu den Menschen und durchwandert dabei die Dörfer und Landstriche. Aber als was tritt er auf? Er ist kein sozialer Reformer, kein Wunderrabbi, kein politischer Messias. Was aber dann? Und was ist seine Botschaft?
6.
T AGE IN K AFARNAUM
Nach seiner Taufe und der Begegnung mit dem Teufel in der Wüste kehrt Jesus nach Galiläa zurück. Er nimmt den Weg entlang dem Jordan zum See Gennesaret, der auch See von Tiberias, »das Meer von Galiläa« oder einfach nur »der See« genannt wurde. Drei bis vier Tage braucht man zu Fuà für diese Strecke. Kurz vor dem See, dort, wo der Fluss Jarmuk in den Jordan flieÃt, trifft er auf zwei junge Männer. Sie sind Anhänger des Täufers Johannes und haben gehört, was ihr Meister über diesen Mann aus Nazaret gesagt hat. Ihre Neugier können sie nun nicht mehr bändigen. Doch Jesus anzusprechen, das trauen sie sich nicht. Also gehen sie schweigend hinter ihm her. Nach einer Zeit dreht sich Jesus plötzlich um und fragt die beiden, was sie wollten. »Rabbi«, stottern sie verlegen, »wo wohnst du?« »Kommt und seht!«, sagt Jesus. (Joh 1,35-39)
Wo Jesus wohnte, das wird in der Bibel nicht gesagt. Nazaret wird er nicht gemeint haben, denn das war zu weitentfernt. Vielleicht wollte er den jungen Bewunderern nur zeigen, dass er, der »Menschensohn«, wie er sich später nannte, kein Zuhause hat oder überall zu Hause ist.
Einer der beiden Männer, die Jesus gefolgt waren, hieà Andreas. Er hatte einen Bruder namens Simon oder Simon Petrus, wie er auch genannt wurde. Andreas erzählte seinem Bruder begeistert von seinem Treffen mit diesem Mann aus Nazaret, und er wollte unbedingt, dass auch Simon
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