Jesus von Nazaret
genug, und Jesus war von der GeiÃelung so geschwächt, dass die Soldaten kurzerhand einem Mann namens Simon, der gerade von der Arbeit auf dem Feld kam, befahlen, den Balken zu schleppen.
Auf der Richtstätte war der Kreuzespfahl schon senkrecht in die Erde gerammt worden. Jesus wurde mit ausgestreckten Armen auf den Querbalken gelegt und durch die Handgelenke am Holz festgenagelt. AnschlieÃend wurde der Balken mit Stricken am senkrechten Pfahl hochgezogen und dort befestigt. Die FüÃe wurden auf einem kleinen Querholz festgenagelt, damit der Körper nicht durchhängt und der Tod nicht zu schnell eintritt. Oberhalb von Jesusâ Kopf wurde eine Holztafel angebracht, auf der sein Vergehen genannt wurde: »Jesus von Nazaret, der König der Juden«. Die jüdischen Oberpriester beschwerten sich zwar über diese Inschrift, weil Jesus nicht wirklich der König der Juden sei, sondern es nur behauptet habe. Aber Pilatus weigerte sich, die Inschrift zu ändern.
Viele Schaulustige sind mit hinauf auf den Schädelberg gewandert. Für sie ist das Ganze ein Spektakel, bei dem sie auch ihren Spaà haben wollen. Sie haben gehört, dass dieser Zimmermann aus Galiläa von sich behauptet habe, er sei Gottes Sohn. Und nun machen sie sich über ihn lustig und fordern Jesus auf, doch seine göttliche Macht zu zeigen und vom Kreuz herunterzusteigen. Unter denGaffern sind nur wenige, die Jesus zu seinen Freunden gezählt hat. Der Evangelist Lukas nennt nur einige Frauen, die ihm aus Galiläa gefolgt sind, Maria von Magdala war wohl darunter. Aber wo sind die Jünger? Judas Ischarioth hat sich aus Verzweiflung darüber, was er angerichtet hat, das Leben genommen. Aber wo ist Petrus? Wo sind Jakobus, Matthäus und die anderen?
Bis ein Mann am Kreuz starb oder, richtiger gesagt, bis er jämmerlich krepierte, konnte es Stunden, ja Tage dauern. Manchmal wurden den Hingerichteten die Schienbeine gebrochen, damit sie sich nicht mehr abstützen konnten und rasch erstickten. Jesus musste nicht so lange leiden. Um die neunte Stunde, also gegen fünfzehn Uhr nachmittags, ging es mit ihm zu Ende. Zu dieser Zeit war die Richtstätte wohl ziemlich verlassen. Nur ein paar Soldaten hielten Wache. Die Menschen in Jerusalem waren mit anderen Dingen beschäftigt. Mit der Dunkelheit begann das Passahfest und alle Vorbereitungen mussten noch getroffen werden. In seinem Todeskampf war Jesus alleine. Sogar von seinem Vater fühlte er sich verlassen. In seiner aramäischen Muttersprache rief er laut: »Elohi, Elohi, lama sabachthani?«, was übersetzt heiÃt: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Kurz darauf fiel sein Kopf zur Seite und mit einem lauten Schrei starb er.
Irgendwo in Jerusalem waren die Jünger Jesu. Sie hatten sich versteckt, weil sie fürchteten, auch verhaftetzu werden. Der Tod ihres Meisters war für sie ein Schock. Was anders sollten sie denken, als dass nun alles vorbei war? Die Sache mit Jesus war gescheitert. Ihr Meister hing wie ein gewöhnlicher Verbrecher am Kreuz.
Es waren nicht die Jünger, die sich um den Leichnam kümmerten. Ein Mann namens Joseph von Arimathäa, ein vornehmer Jude und Ratsherr, holte sich von Pontius Pilatus die Erlaubnis, den toten Jesus von Nazaret vom Kreuz nehmen und bestatten zu dürfen. Er musste sich beeilen, denn während des Passahfestes waren Begräbnisse verboten. Der Leichnam wurde in Leinentücher gewickelt und dann nicht weit vom Hinrichtungsort in eine Felsennische gelegt. 103 Dann wurde das Grab mit einem Rollstein verschlossen.
11.
A UF DEM W EG NACH E MMAUS
Jesus von Nazaret war ungefähr dreiunddreiÃig Jahre alt, als er hingerichtet wurde. Kein anderer Religionsstifter ist so jung gestorben, und kein anderer hat nur so kurze Zeit in der Ãffentlichkeit gewirkt. Der Theologe Romano Guardini war der Meinung, dass dieser frühe Tod nicht hätte sein müssen, und er stellte sich einen Jesus vor, »der nicht dreiunddreiÃig, sondern fünfzig, achtzig, hundert Jahre alt geworden wäre«. 104 Was hätte, so stellt Guardini bedauernd fest, ein Jesus als alter Mann oder Greis nicht noch alles sagen und bewirken können!
Jesus selbst hat allerdings keinen Wert darauf gelegt, alt zu werden. Im Gegenteil, er hat davor gewarnt, sich zu viel von der Zukunft zu erhoffen und darüber das Hier und Jetzt zu vergessen. In einem Gleichnis (Lk 12, 16-20)
Weitere Kostenlose Bücher