Jesus von Nazaret
erzählte er von einem reichen Mann, der groÃe Pläne hat. Er will riesige Scheunen bauen, um auf Jahre hinweg Vorräte zu haben und dann sein Leben in vollen Zügen genieÃen zu können. Aber er ist ein Narr, denn nochin der gleichen Nacht stirbt er und seine Träume von einem glücklichen Leben sind nichtig. Er hat zwar seine Zukunft abgesichert, aber vor Gott, so heiÃt es, ist sein Leben »nicht reich«.
Wichtiger, als lange zu leben, so will Jesus mit dieser Geschichte auch sagen, ist es, »richtig« zu leben. Er stellt damit eine Forderung auf, die auch der römische Philosoph Seneca, der zur gleichen Zeit wie Jesus lebte, aber viel älter wurde als dieser, erhoben hat. WeiÃe Haare, Falten und Runzeln sind für Seneca noch lange kein Beweis dafür, dass ein Mensch lange gelebt hat. Man könne höchstens sagen, so Seneca, dass so jemand »lange da gewesen« sei. Leben bedeutet für ihn etwas anderes. Und was Seneca über die verzweifelten Versuche der Menschen schreibt, ihr Leben zu verlängern, das passt auch noch in eine Zeit, in der dank des medizinischen Fortschritts die Menschen immer älter werden: »Nun, so sieh zu, auf wie lange Lebenszeit ihre Wünsche gerichtet sind. Hinfällige Greise betteln mit Gelübden um einen Zusatz von wenigen Jahren; sie stellen sich selbst als jünger hin, schmeicheln sich selbst mit der Lüge und betrügen sich selbst mit so freudigem Eifer, als ob sie damit zugleich auch dem Schicksal ein Schnippchen schlügen. Und wenn irgendwelcher Schwächeanfall sie an ihre Sterblichkeit mahnt, wie zittern sie da vor dem Tode, nicht als träten sie aus dem Leben aus, sondern als würden sie mit Gewalt daraus entfernt. Toren seien sie gewesen, die keinwirkliches Leben geführt hätten â so jammern sie â, und wenn sie diese Krankheit überständen, dann wollten sie in MuÃe leben; dann werden sie sich klar darüber, dass sie sich blindlings mit Dingen abgegeben haben, die ihnen keinen Nutzen bringen, und dass ihr ganzes Tun und Treiben ein nichtiges war.« 105
In dem Wunsch nach einem möglichst langen Leben und danach, möglichst lange jung zu bleiben, steckt die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Aber wenn die Menschen unsterblich wären, dann gäbe es keinen Grund, das Leben besonders ernst zu nehmen, es bliebe ja unbegrenzt viel Zeit, etwas zu ändern. Erst der Tod macht das Leben endlich und damit wertvoll. Erst der Tod erzieht dazu, das Leben ernst zu nehmen. Und schrecklich ist der Tod nur dann, wenn er einem Leben ein Ende setzt, mit dem man unzufrieden ist, das man schlimmstenfalls für misslungen, verpfuscht, vertan hält.
Der Tod setzt das Leben sozusagen unter Druck. Und dieser Druck führt bei vielen Menschen zu der Angst, etwas zu versäumen oder ihre Tage nicht genügend auszufüllen. Und so stürzen sie sich in immer neue Unternehmungen, sie häufen Ãmter an, machen unentwegt Reisen, fliehen vor Stille und Stillstand. Für Seneca ist das eine leere Getriebenheit. Richtiges Leben bedeutet für ihn, sorgsam mit der Zeit umzugehen, sich unabhängig zu machen von anderen Menschen und sich mit den wirklich wichtigen Fragen zu beschäftigen.
Auch Jesus hat die Frage nach dem »richtigen« Leben gestellt, besonders wenn er vom »Reich Gottes« geredet hat. Aber anders als der Philosoph Seneca sah er die Lösung nicht darin, sich selbst zu erziehen und souverän und unabhängig zu werden. Für Jesus ist ein gelungenes Leben nur möglich, wenn Menschen auf einen liebenden Gottvater vertrauen, der nicht von dieser Welt ist. Jesus hat dieses Urvertrauen gelebt und ist so der »wahre Mensch« geworden, der »glücklichste Mensch«, wie Dorothee Sölle sagte, oder »der liebevollste Mensch«, der je gelebt habe, wie ihn der dänische Philosoph Sören Kierkegaard genannt hat. 106
Aber wieso musste der glücklichste, liebevollste Mensch sterben? Und wieso war dieses Ende notwendig? Jesusâ Tod war schlieÃlich kein Zufall. Er kam auch nicht bei einem Unfall ums Leben und starb auch nicht an einem Schlaganfall. Er hat diesen gewaltsamen Tod vorausgesehen und ihn bewusst in Kauf genommen. Und jeden, der ihn davon abzubringen versuchte, hat er empört zurückgewiesen. Aber warum musste die Erlösung, die Jesus versprochen hat, mit Leid und Tod verbunden sein? Und was hat es zu bedeuten, dass
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