Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
Vom Netzwerk:
mussten fast zwangsläufig immun werden gegen den Pomp des Nationalsozialismus, die Beschwörung falscher Gefühle, die Lüge und die Heuchelei. Wo andere der Faszination der Massenaufmärsche, dem Führerkult,dem bloßen Schein, dem falschen Pathos und dem Glamour der nationalsozialistischen Inszenierungen erlagen, durchschauten die Bonhoeffers von Anfang an, welche Dämonen hinter der glänzenden Fassade ihr Unwesen trieben. Sie hörten aus der Sprache der NS-Redner deren barbarische Gesinnung und deren Mangel an Geist, Kultur und Bildung heraus. Wo andere vor Ehrfurcht schauderten, erkannten sie die Jämmerlichkeit der Figuren, die sich da zu Übermenschen aufgeblasen hatten.
    Insofern hatten die Bonhoeffer-Kinder einfach Glück mit ihrem Elternhaus. Glück hatten sie auch noch auf andere Weise. Sie lernten schon am Familientisch, dass man sich politisch streiten kann, ja soll, dass man unterschiedliche Meinungen über die Monarchie und das kaiserliche Deutschland haben kann, und dass es diese unterschiedlichen Meinungen auch in der eigenen Familie und ihrer sehr bunten Verwandtschaft gibt, und zwar schon länger. Die Familie des Vaters bestand durchaus nicht nur aus treuen Untertanen des Kaisers, sondern es gab auch schon liberale Demokraten, und unter den adligen Vorfahren der Mutter gab es auch manchen Aussteiger und auch einen, der im Gefängnis war, weil er 1848 für die Republik gekämpft hatte.
    Im großen Haus der Eltern lebten zeitweise ledige oder verwitwete Tanten, ältere Vettern und die Großmutter. Onkel und Cousinen kamen zu Besuch, aber auch Kollegen und Studenten des Vaters, Freunde und Freundinnen aus der Nachbarschaft, Bräute und Verlobte der älteren Geschwister – was ebenfalls ein großes Glück ist für ein Kind. Wie viel Anregungen für die Fantasie, wie viel Anlässe zum selbstständigen Weiterdenken ein Kind allein aus den vielfältig aufgeschnappten Erzählungen, Meinungsäußerungen, Streitigkeiten, Gesprächsfetzen und den persönlichen Beziehungen in solch einem von den unterschiedlichsten Menschen bevölkerten sozialen Kosmos erhält, kann man kaum ermessen.
    Und schließlich: Als Dietrich Bonhoeffer sechs Jahre alt ist, zieht die Familie aus Breslau nach Berlin. Der Vater übernimmt dort den führenden Lehrstuhl für Psychiatrie und Neurologie und die Leitung der Berliner Charité. Damit ist er nun weit oben angekommen in der gesellschaftlichen Hierarchie des Kaiserreichs aber auch in der internationalen Hierarchie der Wissenschaftler. Er wohnt standesgemäß in einer Villa im Professorenviertel im noblen Stadtteil Grunewald und hat als Nachbarn den Physiker Max Planck, denTheologen Adolf von Harnack, den Historiker Hans Delbrück. Die besucht man auch und die kommen selbst zu Besuch ins Haus. Im Schlepptau haben sie oft auch noch Gäste aus dem Ausland, berühmte Gäste meistens, und wenn nicht berühmt, so zumindest bedeutend. Menschen, die andere Leute nur aus der Zeitung oder dem Lexikon kennen, gehen im Hause Bonhoeffer ein und aus und hinterlassen ihre Eindrücke in Dietrichs Kopf.
    Ein weiterer für die Entwicklung Dietrich Bonhoeffers wichtiger Punkt, in dem er sich von seinen Durchschnitts-Zeitgenossen unterschied, war sein früh erworbener Kosmopolitismus. 1934, also ein Jahr nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler, hatte der damals 28-jährige Bonhoeffer schon einen Studienaufenthalt in Rom, ein Vikariat in Barcelona, ein Studiensemester in New York und ein Jahr als Pfarrer in London hinter sich. Noch vor Vollendung seines 30. Lebensjahres war Bonhoeffer international vernetzt und hatte gelernt, dass auch andere Völker und Nationen ihre Dichter und Denker hatten und über eine den Deutschen in jeder Hinsicht ebenbürtige Kultur und Wissenschaft verfügten.
    Aus diesen Glückstreffern aber machte Bonhoeffer dann sein Eigenes. Begonnen hatte er damit schon in frühester Jugend, als er sich im Alter von 15 Jahren entschied, an seinem Gymnasium Hebräisch als Wahlfach zu nehmen. Das war praktisch schon die Vorentscheidung für die Theologie, die er dann später tatsächlich studierte.
    Warum ausgerechnet Theologie? Warum nichts Handfestes wie seine Geschwister, die Naturwissenschaftler, Juristen oder wenigstens Sozialpädagogen wurden? Sein Vater, das spürte er, sah es ungern, obwohl er kein Wort darüber verlor und sich nie

Weitere Kostenlose Bücher