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Jesus von Nazaret

Jesus von Nazaret

Titel: Jesus von Nazaret Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alois Prinz
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erlaubt hätte, seine Kinder daran zu hindern, ihre eigenen Wege zu gehen. Die Gründe konnte der junge Bonhoeffer anscheinend selbst nicht so richtig nennen. Vielleicht war es ja einfach nur der Wunsch, etwas ganz anderes machen zu wollen als seine Geschwister und der Vater, um sich auf einem der Familie fremden Feld selbstständig zu bewähren.
    Aber dass die Entscheidung richtig war, daran gab es, je älter er wurde, umso weniger Zweifel. Und später, als Bonhoeffer mitten im Getümmel des gefährlichen Widerstands gegen Hitler steckte, sah auch der Vater ein, dass er sich mit seiner unausgesprochenen Geringschätzung des Theologen und Pfarrers wohl geirrt hatte. In einem Brief gestand der Vater dem Sohn: »AlsDu Dich seinerzeit für die Theologie entschlossen hast, dachte ich manchmal im Stillen, dass ein stilles, unbewegtes Pastorendasein, wie ich es von meinen schwäbischen Onkeln kannte und wie es Mörike schildert, eigentlich doch fast zu schade für Dich wäre. Darin habe ich ja, was das Unbewegliche anlangt, mich gröblich getäuscht. Daß eine solche Krise auch auf dem Gebiete des Kirchlichen noch möglich wäre, schien mir aus meiner naturwissenschaftlichen Erziehung heraus eigentlich ausgeschlossen.«
    Wie der Vater, so hatten auch Bonhoeffers Lehrer an der Universität und seine Kollegen und Vorgesetzten in der Kirche nicht mit etwas gerechnet, womit man in der Kirche eigentlich immer rechnen sollte, auch wenn es viel zu selten geschieht: Bonhoeffer nahm die Bibel beim Wort. Nicht wörtlich im Sinne von Buchstabenglaube nahm er das Wort Gottes, sondern ernst nahm er es, tödlich ernst.
    Für Bonhoeffer hat nie ein Zweifel daran bestanden, dass Leben und Glauben zusammengehören. Fast instinktiv hat er die in seiner Kirche allgegenwärtige Tendenz bekämpft, scheinbar sauber zu trennen zwischen relevanter »Welt« und irrelevantem »Evangelium«. Was einer im Hören auf das Wort Gottes als wahr erkannt hat, muss er öffentlich aussprechen. Und was er öffentlich ausgesprochen hat, muss er tun. Was sonntags gepredigt wird, muss werktags gemacht werden, auch wenn es unbequem ist. Der christliche Glaube ist nicht dazu da, wohlhabenden Bürgern eine erbauliche Stunde im Sonntagsgottesdienst zu bereiten, ihrer Bürgerlichkeit die religiösen Weihen zu verleihen und das Sahnehäubchen für ihr sorgenfreies Leben abzugeben.
    Bonhoeffer las daher die Bibel nicht zu seiner Erbauung oder zur Befriedigung religiöser Gefühle, sondern weil er tatsächlich erwartete, dass durch den alten Text über den Graben der Geschichte hinweg Gottes Stimme selbst zu hören ist. Wohl wissend, dass diese alten, schwer verständlichen Texte der Bibel zu ganz anderen Zeiten von uns völlig fremden Menschen für ganz andere Menschen als uns geschrieben wurden, las er in der Erwartung, aus diesen Buchstaben das lebendige Wort Gottes herauszuhören. Wer sich ganz ehrlich diesem toten Buchstabenhaufen öffnet und wirklich aufmerksam und unvoreingenommen hinhört, der wird auch etwas hören, und zwar das aktuell, jetzt für die jeweilige Gegenwart gültige Wort Gottes – das hat Bonhoeffer geglaubt.
    In diesem Glauben hat er dann auch tatsächlich etwas gehört. Das passiert selten in der Kirchengeschichte, aber zuverlässig immer wieder, und wenn es passiert, ist in der Kirche meistens der Teufel los. Genau das geschah auch, als Bonhoeffer einfach ernst machte mit dem Evangelium und sich von diesen alten Texten durch seine Gegenwart führen ließ wie ein Blinder von seinem Blindenhund. So, nicht anders, wurde er herausgeführt aus seiner bürgerlichen Herkunft, immer weiter weg von seinem staatsgläubig protestantischen Traditions-Christentum.
    Daran erkennt man im Übrigen mit hoher Verlässlichkeit, dass einer wirklich Gott gehört hat und nicht sich selbst, dass es einen wegführt vom Gewohnten, meistens mit Unannehmlichkeiten verbunden ist für einen selbst und die anderen und in der Regel großen Ärger einbringt. Was aber hat Bonhoeffer »gehört«? Natürlich nicht einen Ruf wie Donnerhall nach dem Muster: Werdet Widerstandskämpfer! Auch nicht: Stürzt Hitler! Oder: Mischt kräftig in der Politik mit!
    Nein, was er hörte, waren einfach nur Gedanken, die sich ganz leise in seinem Kopf zusammensetzten und sachliche, unspektakuläre, aber eindeutige Sachverhalte

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