Jesus von Nazaret
mich daran, weil ich es bewunderte, dass man so genau wissen konnte, wo man stand.«
Zu wissen, wo man steht, war nicht leicht in der jungen, von vielen Seiten angefeindeten Weimarer Demokratie. Bonhoeffer jedoch wusste es stets mit fast traumwandlerischer Sicherheit. Hitler war noch gar nicht an der Macht, aber schon gab Bonhoeffer wie ein Seher merkwürdige Sätze von sich. Verstanden haben sie wohl nur wenige, viele hielten sie für übertrieben, aber schon wenige Jahre später wurden sie traurige Realität: »Wir müssen uns nicht wundern, wenn auch für unsere Kirche wieder Zeiten kommen werden, wo Märtyrerblut gefordert werden wird«, sagte er in einer Predigt im Juni 1932.
Und als Hitler dann am 30. Januar 1933 zum Kanzler ernannt wurde, trug Bonhoeffer nur zwei Tage später im Rundfunk seine gegen Hitler gerichteten Gedanken über die Figur des Führers vor, der in der Gefahr steht, zum Verführer zu werden. Obwohl er da noch fast ganz im Sinne des konservativen Bürgertums argumentierte, gegen die Führerschaft einzelner Menschen nichts einzuwenden hatte und über Hitler selbst kein Wort verlor, brach die SendeleitungBonhoeffers Radio-Essay vorzeitig ab â zu brisant waren seine Gedanken, zu deutlich erkennbar war die indirekte, in seinen allgemeinen Erwägungen enthaltene Kritik an jenem Verführer, der sich mit »mein Führer« anreden lieÃ.
Während also die Masse des Volkes Hitlers Ernennung zum Reichskanzler feierte, andere sich noch abwartend verhielten und nicht wenige, selbst viele Juden, sich der irrigen Annahme hingaben, bei Hitler handle es sich um einen kurzen Spuk, gehörte Bonhoeffer schon zu jener sehr kleinen Minderheit, die mit untrüglichem Instinkt spürte, dass nun alles auf eine Katastrophe zusteuern würde, wenn den Nationalsozialisten kein Einhalt geboten werde. Tief sitzende antijüdische Vorurteile in gebildeten, konservativen, kirchlichen und sogar liberalen Kreisen waren weit verbreitet. Kaum jemand ergriff Partei für die jüdischen Mitbürger, die nun von Tag zu Tag mehr unter Schikanen und Gewalt zu leiden hatten. Nur Bonhoeffer hatte lediglich zwei Monate gebraucht, um unerschrocken und deutlich wie immer seiner Kirche öffentlich ihren Platz an der Seite der Juden zuzuweisen.
Mit derselben Unerschrockenheit formuliert er zu dieser Zeit auch schon klar und hellsichtig wie kaum ein anderer ein Programm des Widerstands, das er dann später tatsächlich ganz konsequent durchziehen wird bis zu seinem Tod: Wenn der Staat gegen seine elementaren Pflichten verstöÃt und die Fundamente des Rechts aushöhlt, dann stehen der Kirche drei abgestufte Verhaltensmuster zur Verfügung. Erstens muss sie öffentlich Stellung beziehen gegen solch einen Staat, zweitens muss sie sich um die Opfer staatlichen Handelns â also beispielsweise um die Juden â kümmern und drittens besteht die Pflicht der Kirche darin, »nicht nur die Opfer unter dem Rad zu verbinden, sondern dem Rad selbst in die Speichen zu fallen«, womit gemeint ist: handfest einzugreifen, den Wagen zum Stehen zu bringen, durch aktiven Widerstand.
Nur ganz wenige hatten damals Ohren für diese Botschaft. Früh schon wurde es einsam um Bonhoeffer und es stellt sich die Frage: Warum haben nicht alle so klarsichtig und entschieden gehandelt wie er? Wie konnte die Masse der Deutschen sich dieser einzig richtigen und wahrhaft vernünftigen Position Bonhoeffers widersetzen? Und woher nahm Bonhoeffer die Kraft und die Sicherheit, der Masse zu widerstehen?
Letztgültig lassen sich solche Fragen nicht beantworten, aber vermutlich gilt für Widerstandskämpfer auch nur, was für alle Menschen gilt: Was aus einem wird, hängt am wenigsten von ihm selber ab, sondern von den Zufällen, in die einer hineingeboren wird und die ihm im Lauf seiner Entwicklung widerfahren. Auch Widerstandskämpfer wird man vermutlich nur zu einem geringen Teil aus eigener Kraft und zu einem groÃen aus geschenkter.
Der Tank, aus dem in der Regel die meiste Kraft kommt, die Kraft fürs Leben, ist etwas sehr Altes und sehr Einfaches: die Familie. Zu welchen Ãberzeugungen einer gelangt, welcher Charakter in ihm heranreift, wofür er sich interessiert und wofür nicht, ob er für seine Ãberzeugungen kämpft oder sie verleugnet oder nie welche entwickelt, wird stark vorbestimmt von der Familie, in der er
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