Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
Vom Netzwerk:
welche Art von Reinigungssystemen er auch immer befolgt. „Ihr seid rein“ – in diesem wunderbar einfachen Wort Jesu ist das Große des Christusgeheimnisses irgendwie zusammenfassend ausgesagt. Der zu uns absteigende Gott macht uns rein. Die Reinheit ist Geschenk.
    Aber da erhebt sich ein Einwand. Wenige Verse später sagt Jesus: „Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13,14f). – Sind wir damit nicht doch bei einer bloß moralischen Auffassung des Christentums angelangt?
    In der Tat spricht zum Beispiel Rudolf Schnackenburg von zwei einander entgegenstehenden Deutungen der Fußwaschung im 13.   Kapitel: Die erste, „die theologisch tiefere   … versteht die Fußwaschung als ein zeichenhaftesGeschehen, das auf den Tod Jesu hinweist; die zweite ist rein paradigmatischer Art und haftet an dem Demutsdienst Jesu, der in der Fußwaschung selbst liegt“ (
Johannesevangelium
III, S.   7). Schnackenburg hält dafür, dass es sich bei der zweiten Deutung um eine „Bildung der Redaktion“ handle, zumal nach ihm „die zweite Deutung von der ersten nichts zu wissen scheint“ (S.   12; vgl. S.   28). Aber das ist zu eng, zu sehr nach dem Schema unserer westlichen Logik gedacht. Für Johannes gehören das Geschenk Jesu und sein Weiterwirken in den Jüngern zusammen.
    Die Väter haben den Unterschied der beiden Aspekte wie ihre gegenseitigen Beziehungen in den Kategorien von
sacramentum
und
exemplum
zusammengefasst: Mit
sacramentum
meinen sie da nicht ein bestimmtes einzelnes Sakrament, sondern das ganze Mysterium Christi – seines Lebens und Sterbens   –, in dem er auf uns Menschen zugeht, in uns durch seinen Geist eintritt, uns umgestaltet. Aber eben weil dieses
sacramentum
den Menschen wirklich „reinigt“, ihn von innen her erneuert, wird es auch zur Dynamik neuer Existenz. Die Aufforderung zu tun, was Jesus getan hat, ist nicht ein moralistischer Anhang ans Mysterium oder gar ein Gegensatz zu ihm. Sie folgt aus der inneren Dynamik der Gabe, mit der der Herr uns zu neuen Menschen macht, uns in das Seinige aufnimmt.
    Diese wesentliche Dynamik der Gabe, durch die er nun selbst in uns wirkt und unser Wirken mit dem Seinigen eins wird, erscheint besonders deutlich in dem Wort Jesu: „Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen, und er wird noch größere vollbringen, denn ich gehe zum Vater“ (Joh 14,12). Hier ist genaudas ausgedrückt, was mit dem Wort „ein Beispiel habe ich euch gegeben“ in der Fußwaschung gemeint ist: Jesu Handeln wird zu unserem, weil er selbst in uns handelt.
     
    Von da aus ist dann auch die Rede vom „neuen Gebot“ zu verstehen, mit der Jesus nach dem Zwischenstück über den Verrat des Judas noch einmal den Auftrag zur gegenseitigen Fußwaschung aufgreift und ins Grundsätzliche ausweitet (13,34f). Worin besteht das Neue des neuen Gebotes? Weil hier letztlich die Neuheit des Neuen Testaments ins Spiel kommt, also die Frage nach dem „Wesen des Christentums“, ist es wichtig, sehr sorgsam zuzuhören.
    Man hat gesagt, das Neue – über das schon bestehende Gebot der Nächstenliebe hinaus – zeige sich in dem Wort „Lieben, wie ich euch geliebt habe“, also lieben bis zur Bereitschaft, das eigene Leben für den anderen zu opfern. Wenn darin das Eigentliche und Ganze des „neuen Gebotes“ läge, wäre Christentum nun doch als eine Art von äußerster moralischer Anstrengung zu definieren. So wird ja weithin auch die Bergpredigt ausgelegt: Gegenüber dem alten Weg der Zehn Gebote, der sozusagen den Weg des Durchschnittsmenschen bezeichne, eröffne das Christentum mit der Bergpredigt den Höhenweg einer radikalen Forderung, in der sich eine neue Stufe der Humanität in der Menschheit gezeigt habe.
    Aber wer darf eigentlich von sich sagen, dass er sich über den „Durchschnitt“ des Weges der Zehn Gebote erhoben, sie sozusagen als selbstverständlich hinter sich gelassen habe und nun auf Höhenwegen im „neuen Gesetz“ wandle? Nein, in der Höhe moralischer Leistung kann das eigentlich Neue des neuen Gebotes nicht bestehen. DasWesentliche ist gerade auch in diesen Worten nicht der Appell an die äußerste Leistung, sondern die neue Grundlage des Seins, die uns geschenkt wird. Das Neue kann nur aus der Gabe des Mitseins mit Christus und des Inseins in ihm

Weitere Kostenlose Bücher