Jesus von Nazareth - Band II
kommen.
Augustinus hatte seine Auslegung der Bergpredigt – sein erster Predigtzyklus nach der Priesterweihe – in der Tat mit dem Gedanken des höheren Ethos, der höheren und reineren Normen begonnen. Aber im Lauf der Predigten verlagert sich der Schwerpunkt immer mehr. Er muss mehrmals sagen, dass auch die alte Forderung schon eine wirkliche Vollkommenheit bedeutete. Immer deutlicher tritt an die Stelle des höheren Anspruchs die Bereitung des Herzens (vgl.
De serm. Dom. in monte
I 19,59); immer mehr wird das „reine Herz“ (Mt 5,8) zum Auslegungszentrum. Über die Hälfte des ganzen Predigtzyklus ist unter dem Grundgedanken des gereinigten Herzens gestaltet. So wird der Zusammenhang mit der Fußwaschung überraschend sichtbar: Nur indem wir uns immer wieder vom Herrn selbst waschen, „rein machen“ lassen, können wir lernen, mit ihm zu tun, was er getan hat.
Auf die Einfügung unseres Ich in das seinige („nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“, Gal 2,20) kommt es an. Deswegen ist das zweite, in der Auslegung der Bergpredigt bei Augustinus immer wiederkehrende Stichwort
misericordia
– Barmherzigkeit. Wir müssen uns in die Barmherzigkeit des Herrn eintauchen lassen, dann wird auch unser „Herz“ den rechten Weg finden. Das „neue Gebot“ ist nicht einfach eine neue, höhere Forderung; es ist an die Neuheit Jesu Christi – an das wachsende Eingetauchtsein in ihn – gebunden.
Auf dieser Linie fortfahrend, konnte Thomas vonAquin sagen: „Das neue Gesetz ist die Gnade des Heiligen Geistes“ (
S. theol.
I–II q. 106 a. 1) – nicht eine neue Norm, sondern die von Gottes Geist selbst geschenkte neue Innerlichkeit. Diese geistliche Erfahrung des wahrhaft Neuen am Christentum konnte Augustinus schließlich in der berühmten Formel zusammenfassen: „Da quod iubes et iube quod vis – gib, was du befiehlst, dann befiehl, was du willst“ (
Conf
. X 29,40).
Die Gabe – das
sacramentum
– wird zum
exemplum
, zum Beispiel, und bleibt doch immer Gabe. Christsein ist zuerst Gabe, die sich aber in der Dynamik des Mitlebens und Mittuns mit der Gabe entfaltet.
Das Geheimnis des Verräters
D ie Fußwaschungs-Perikope konfrontiert uns mit zwei unterschiedlichen Formen der Reaktion des Menschen auf diese Gabe: Judas und Petrus. Gleich nach der Rede vom Beispiel kommt Jesus auf den Fall des Judas zu sprechen. Johannes sagt uns darüber, dass Jesus im Innersten erschüttert wurde und bekräftigte: „Amen, amen, das sage ich euch: Einer von euch wird mich verraten“ (13,21).
Johannes spricht dreimal von der „Erschütterung“ Jesu: am Grab des Lazarus (11,33.38), am „Palmsonntag“ nach dem Wort vom gestorbenen Weizenkorn in einer Szene, die an die Ölbergstunde erinnert (12,24 – 27), und schließlich hier. Es sind Augenblicke, in denen Jesus der Majestät des Todes begegnet und von der Macht der Finsternis berührt wird, mit der zu ringen und die zu überwinden sein Auftrag ist. Wir werden auf diese „Erschütterung“der Seele Jesu zurückkommen, wenn wir die Nacht auf dem Ölberg bedenken.
Kehren wir zu unserem Text zurück. Die Ankündigung des Verrats ruft begreiflicherweise unter den Jüngern Erregung und zugleich Neugierde hervor. „Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es? Jesus antwortete: Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich eintauche, geben werde“ (13,23ff).
Zum Verständnis dieses Textes ist zunächst zu beachten, dass für das Pascha-Mahl das Zu-Tische-Liegen vorgeschrieben war. Charles K. Barrett erklärt den eben zitierten Vers so: „Die Teilnehmer an einem Mahl lagen auf ihrer linken Seite; der linke Arm wurde dazu genommen, den Körper zu stützen, der rechte war frei zum Gebrauch. Der Jünger zur Rechten Jesu hatte so sein Haupt unmittelbar vor Jesus, und man konnte deshalb entsprechend sagen, er lag an seinem Busen. Offensichtlich war er in der Lage, vertraulich mit Jesus zu sprechen, aber sein Platz war nicht der höchste Ehrenplatz; dieser war zur Linken des Gastgebers. Der Platz, den der Lieblingsjünger einnahm, war nichtsdestoweniger der Platz eines vertrauten Freundes“; Barrett macht dabei auf eine parallele Schilderung bei Plinius aufmerksam (a. a. O., S. 437).
So, wie die Antwort Jesu an dieser Stelle steht, ist sie völlig eindeutig. Aber
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