Jesus von Nazareth - Band II
nicht sich selbst auf die Höhe Gottes schwingen zu wollen, sondern in der Demut des Dienstes langsam zurechtgeformt zu werden zum wirklichen Ebenbild Gottes.
Fußwaschung und Sündenbekenntnis
A m Ende müssen wir noch auf ein letztes Detail des Fußwaschungs-Berichtes achten. Nachdem der Herr dem Petrus die Notwendigkeit der Fußwaschung erklärt hat, antwortet dieser, wenn es so sei, dann solle er ihm nicht nur die Füße, sondern auch Hände und Haupt waschen. Die Antwort Jesu ist wieder rätselhaft: „Wer vom Bad kommt, ist ganz rein und braucht sich nur noch die Füße zu waschen“ (13,10). Was bedeutet das?
Das Jesus-Wort setzt offenbar voraus, dass die Jünger, als sie zum Mahl gingen, ein Vollbad genommen hatten und jetzt bei Tische nur noch einer Fußwaschung bedurften. Es ist klar, dass Johannes in diesen Worten einen tieferen symbolischen Sinn sieht, den zu erkennen nicht leicht ist. Halten wir zunächst fest, dass die Fußwaschung – wie wir gesehen haben – nicht ein einzelnes Sakrament bedeutet, sondern das Ganze von Jesu Heilsdienst: das
sacramentum
seiner Liebe, in die er uns im Glauben eintaucht und die das wahre Bad der Reinigung für den Menschen ist.
Aber an dieser Stelle gewinnt die Fußwaschung über ihre wesentliche Symbolik hinaus doch noch eine konkretere Bedeutung, die auf die Praxis des Lebens in der frühen Kirche verweist. Was ist das? Das vorausgesetzte Vollbad kann nur die Taufe meinen, mit der der Mensch ein für alle Mal in Christus eingetaucht ist und seine neue Identität des Inseins in Christus erhält. Dieser grundlegende Vorgang, durch den wir uns nicht zu Christen machen, sondern zu Christen werden durch das Handeln des Herrn in seiner Kirche, ist unwiederholbar. Aber er bedarf im Leben der Christen – für die Tischgemeinschaft mit dem Herrn – doch immer wieder einer Ergänzung: der „Fußwaschung“. Was ist das? Es gibt keine unbestritten sichere Antwort darauf. Aber mir scheint doch, dass der Erste Johannes-Brief uns auf die rechte Spur führt und uns zeigt, was gemeint ist. Dort lesen wir: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns. Wenn wir unsere Sünde bekennen, ist er treu und gerecht; er vergibt uns die Sünden und reinigt uns von allem Unrecht. Wenn wir sagen, dass wir nicht gesündigt haben, machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns“ (1,8ff). Weil auch die Getauften Sünder bleiben, brauchen sie das Bekenntnis der Sünden, „das uns von allem Unrecht reinigt“.
Das Wort „reinigen“ stellt den inneren Zusammenhang zur Fußwaschungs-Perikope her. Die gleiche, aus dem Judentum kommende Übung des Sündenbekenntnisses ist auch im Jakobus-Brief (5,16) bezeugt, ebenso in der
Didachē
. Dort steht: „In der Gemeinde sollst du deineSünden bekennen“ (4,14) und: „Am Tag des Herrn sollt ihr zusammenkommen, Brot brechen und danken, nachdem ihr zuvor eure Sünden bekannt habt“ (14,1). Franz Mußner sagt dazu im Anschluss an Rudolf Knopf: „An beiden Stellen ist an ein kurzes, öffentliches Einzelbekenntnis gedacht“ (
Jakobusbrief
, S. 226, Anm. 5). Sicher darf man in diesem Sündenbekenntnis, das jedenfalls im Einflussraum des Judenchristentums zum Leben der frühchristlichen Gemeinden gehörte, nicht das Bußsakrament in dem Sinn suchen, wie es sich im Lauf der Geschichte in der Kirche ausgeprägt hat, wohl aber eine „Stufe dazu“ (ebd., S. 226).
Letztlich geht es darum: Schuld darf nicht im Stillen in der Seele weiterschwären und sie so von innen her vergiften. Sie braucht Bekenntnis. Durch das Bekenntnis tragen wir sie ans Licht, halten sie in Christi reinigende Liebe hinein (vgl. Joh 3,20f). Im Bekenntnis wäscht der Herr immer neu unsere schmutzigen Füße und bereitet uns für die Tischgemeinschaft mit ihm.
Auf das Kapitel über die Fußwaschung insgesamt zurückblickend können wir sagen, dass in dieser Gebärde der Demut, in der das Ganze von Jesu Lebens- und Todesdienst sichtbar wird, der Herr vor uns steht als der Knecht Gottes – als der, der für uns der Dienende geworden ist, der unsere Last trägt und uns so die wahre Reinheit, die Gottfähigkeit schenkt. Im zweiten Gottesknechts-Lied bei Jesaja steht ein Satz, der in gewisser Hinsicht die Grundlinie der johanneischen Passionstheologie vorwegnimmt: Der Herr „sagte zu mir: Du bist mein Knecht, und in dir werde ich verherrlicht werden (LXX:
doxasthēsomai
)“ (49,3).
Auf
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