Jesus von Nazareth - Band II
Autoritäten zur Zeit des Prozesses Jesu vor Pilatus das Pascha noch nicht gegessen hatten und sich dafür noch kultisch rein halten mussten. Er hat recht damit, dass die Kreuzigung nicht am Fest stattgefunden hat, sondern am Vortag des Festes. Das bedeutet, dass Jesus gestorben ist zu der Stunde, zu der im Tempel die Pascha-Lämmer geschlachtet wurden. Dass die Christen darin später mehr als einen Zufall erblickten, dass sie Jesus als das wahre Lamm erkannten, dass sie den Ritus der Lämmer gerade so zu seinem wirklichen Sinn geführt fanden – das ist dann nur normal.
Es bleibt die Frage: Aber warum haben die Synoptiker dann von einem Pascha-Mahl gesprochen? Worauf gründet dieser Strang der Überlieferung? Eine wirklich überzeugende Antwort auf diese Frage kann auch Meier nicht geben. Er versucht es – wie viele andere Exegeten – mit der Redaktions- und Literarkritik. Er will zeigen, dass Mk 14,1a und 14,12 – 16 – die einzigen Stellen, in denen bei Markus vom Pascha gesprochen wird – nachträglich eingefügt worden seien. In dem eigentlichen Bericht vom Letzten Abendmahl selbst sei vom Pascha nicht die Rede.
Diese Operation, wie viele große Namen auch für sie stehen mögen, ist künstlich. Richtig bleibt aber der Hinweis von Meier, dass in der Schilderung des Mahles selbst bei den Synoptikern das Pascha-Ritual so wenig erscheint wie bei Johannes. So wird man mit gewissen Einschränkungendem Satz zustimmen können: „Die gesamte johanneische Tradition … stimmt vollständig mit der ursprünglichen synoptischen Tradition über den nicht dem Pascha zugehörigen Charakter des Mahles überein“ (
A Marginal Jew
I, S. 398).
Aber was war Jesu Letztes Mahl dann eigentlich? Und wie kam es zu der gewiss sehr frühen Auffassung von seinem Pascha-Charakter? Die Antwort von Meier ist verblüffend einfach und in vieler Hinsicht überzeugend: Jesus wusste um seinen bevorstehenden Tod. Er wusste, dass er das Pascha nicht mehr werde essen können. In diesem vollen Wissen lud er die Seinen zu einem Letzten Mahl ganz besonderer Art ein, das keinem bestimmten jüdischen Ritus zugehörte, sondern sein Abschied war, in dem er Neues gab, sich selbst als das wahre Lamm schenkte und damit
sein
Pascha stiftete.
In allen synoptischen Evangelien gehört zu diesem Mahl die Todesprophetie Jesu und die Prophezeiung seiner Auferstehung. Bei Lukas hat sie eine besonders feierliche und geheimnisvolle Form: „Mit Sehnsucht habe ich danach verlangt, dieses Pascha mit euch zu essen, bevor ich leide. Ich sage euch, ich werde es nicht essen, ehe denn es sich erfüllt im Reiche Gottes“ (22,15f). Das Wort bleibt doppeldeutig: Es kann besagen, dass Jesus ein letztes Mal das gewohnte Pascha mit den Seinen isst. Es kann aber auch bedeuten, dass er es nicht mehr isst, sondern auf das neue Pascha zugeht.
Eines ist in der gesamten Überlieferung deutlich: Das Wesentliche dieses Abschiedsmahles war nicht das alte Pascha, sondern das Neue, das Jesus in diesem Zusammenhang vollzog. Auch wenn das Zusammensein Jesumit den Zwölfen kein Pascha-Mahl nach den rituellen Vorschriften des Judentums gewesen war, so wurde in der Rückschau der innere Zusammenhang des Ganzen mit Tod und Auferstehung Jesu sichtbar: Es war Jesu Pascha. Und in diesem Sinn hat er Pascha gefeiert
und
nicht gefeiert: Die alten Riten konnten nicht begangen werden; als ihre Stunde kam, war Jesus schon gestorben. Aber er hatte sich selbst gegeben und so wirklich gerade Pascha mit ihnen gefeiert. Das Alte war so nicht abgetan, sondern erst zu seinem vollen Sinn gebracht.
Das früheste Zeugnis für dieses Zusammenschauen des Neuen und des Alten, das die neue paschatische Auslegung von Jesu Mahl im Zusammenhang von Tod und Auferstehung vollzieht, findet sich bei Paulus in 1 Kor 5,7: „Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid. Ihr seid ja schon ungesäuertes Brot; denn unser Pascha ist geopfert, Christus“ (vgl. Meier,
A Marginal Jew
I, S. 429f). Wie in Mk 14,1 folgen hier einander der erste Tag der Ungesäuerten Brote und das Pascha, aber der rituelle Sinn von damals ist in eine christologische und existentielle Bedeutung umgewandelt. Ungesäuertes Brot müssen nun die Christen selber sein, vom Sauerteig der Sünde befreit. Das geopferte Lamm aber ist Christus. Darin stimmt Paulus genau mit der johanneischen Darstellung der Ereignisse überein. So sind für ihn Tod und Auferstehung Christi das bleibende Pascha-Fest geworden.
Von da
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