Jesus von Nazareth - Band II
ist ihm „nicht zuzutrauen“. Und natürlich passt es auch nicht zusammen mit dem Bild Jesu als eines politischen Aufrührers. So bestreitet ein nicht geringer Teil gegenwärtiger Exegese, dass die Einsetzungsworte wirklich auf Jesus zurückgehen. Weil es da um den Kern des Christentums überhaupt und um den zentralen Aspekt der Gestalt Jesu geht, müssen wir ein wenig näher hinsehen.
Der Haupteinwand gegen die historische Ursprünglichkeit der Abendmahlsworte und -gesten lässt sich so zusammenfassen: Es gebe einen unlösbaren Widerspruch zwischen der Reich-Gottes-Botschaft Jesu und der Vorstellungvon seinem stellvertretenden Sühnetod. Die innere Mitte der Abendmahlsworte aber ist das „für euch – für viele“, die stellvertretende Hingabe Jesu und damit auch der Gedanke der Sühne. Hatte Johannes der Täufer angesichts des drohenden Gerichts zur Umkehr aufgerufen, so habe Jesus als Freudenbote die Nähe der Gottesherrschaft und den unbedingten Vergebungswillen, das Regiment von Gottes Güte und Barmherzigkeit verkündet. „Das letzte Wort, das Gott durch seinen letzten Boten (den Freudenboten nach dem letzten Gerichtsboten Johannes) spricht, ist ein Wort des Heils. Jesu Verkündigung ist durch die eindeutig vorrangige Orientierung an der Heilszusage Gottes charakterisiert, durch die Überbietung des nahen Richtergottes durch den gegenwärtigen Gott der Güte.“ In diesen Worten fasst Pesch den wesentlichen Inhalt der Argumentation zusammen, die die Unvereinbarkeit der Abendmahls-Überlieferung mit der Neuheit und der Eigenheit der Verkündigung Jesu behauptet (
Abendmahl
, S. 104).
Peter Fiedler führt die Logik dieser Sicht drastisch aus, wenn er schreibt: „Jesus hatte den
bedingungslos
vergebungswilligen Vater verkündet“, und dann fragt: „War dieser nun doch in seiner Gnade nicht so großzügig oder gar souverän, dass er auf einer Sühne bestand?“ (a. a. O., S. 569; vgl. Pesch,
Abendmahl
, S. 16 u. 106). Er erklärt dann den Sühnegedanken für mit Jesu Gottesbild unvereinbar, und darin pflichten ihm viele Exegeten und Systematiker inzwischen bei.
In der Tat liegt hier der eigentliche Grund, warum sich ein Gutteil der modernen Theologen (nicht nur der Exegeten) gegen die jesuanische Herkunft der Abendmahlsworte stellt. Der Grund dafür liegt nicht im historischenBefund: Wie wir gesehen haben, sind die eucharistischen Texte ältestes Überlieferungsgut. Vom historischen Befund her kann gar nichts ursprünglicher sein als eben die Abendmahls-Überlieferung. Aber der Sühnegedanke ist dem modernen Empfinden nicht nachvollziehbar. Jesus muss mit seiner Reich-Gottes-Verkündigung der Gegenpol dazu sein. Es geht um unser Gottes- und Menschenbild. Insofern ist die ganze Diskussion nur schein-historisch.
Die Frage ist vielmehr: Was ist das – Sühne? Ist das mit einem reinen Gottesbild vereinbar? Ist das nicht eine notwendig zu überwindende Stufe der religiösen Entwicklung der Menschheit? Muss Jesus, wenn er der neue Bote Gottes sein soll, nicht gegen diese Vorstellung stehen? So wird der eigentliche Disput darum gehen müssen, ob die neutestamentlichen Texte – recht gelesen – uns einen Gedanken von Sühne eröffnen, der auch von uns nachvollziehbar ist, wenn wir bereit sind, der Botschaft ganz zuzuhören, die da auf uns zukommt.
Wir werden diese Frage endgültig im Kapitel über den Kreuzestod Jesu bedenken müssen. Dazu gehört freilich die Bereitschaft, dem Neuen Testament nicht „sachkritisch“ einfach unser Besserwissen entgegenzuhalten, sondern zu lernen und uns führen zu lassen: die Texte nicht nach unserer Vorstellung umzumontieren, sondern unsere Vorstellungen von seinem Wort reinigen und vertiefen zu lassen.
Einstweilen versuchen wir, in solchem Zuhören uns an das Verstehen heranzutasten. Da ist dann zunächst die Frage: Gibt es diesen Widerspruch zwischen der galiläischen Reich-Gottes-Botschaft und der in Jerusalem angesiedelten letzten Verkündigung Jesu wirklich?
Bedeutende Exegeten – Rudolf Pesch, Gerhard Lohfink, Ulrich Wilckens – sehen zwar einen tiefgehenden Unterschied, aber keinen unlösbaren Gegensatz zwischen beiden. Sie gehen davon aus, dass Jesus zunächst das große Angebot der Botschaft vom Gottesreich und der ohne Bedingung geschenkten Vergebung gemacht habe, dass er aber das Scheitern dieses Angebots habe zur Kenntnis nehmen müssen und nun seine Sendung mit der des Gottesknechtes identifiziert habe. Er habe eingesehen, dass nach
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