Jesus von Nazareth - Band II
sollen wir also sagen? Es scheint mir anmaßend und zugleich einfältig, in Jesu Bewusstsein hineinleuchten und es von dem her klären zu wollen, was er aufgrund unserer Erkenntnis jener Zeit und ihrer theologischen Anschauungen gedacht oder nicht gedacht haben kann. Wir können nur sagen, dass er in sich selbst die Sendung des Gottesknechtes und die des Menschensohnes erfüllt wusste – wobei mit der Verbindung zwischen beiden Motiven zugleich eine Entschränkung der Sendung des Gottesknechtes verbunden ist, eine Universalisierung, die in eine neue Weite und Tiefe weist.
Sehen können wir dann, wie auf dem Weg der werdenden Kirche zugleich langsam das Verstehen der Sendung Jesu wächst und wie das „Erinnern“ der Jünger unter der Führung des Gottesgeistes (vgl. Joh 14,26) allmählich das ganze Geheimnis wahrzunehmen beginnt, das hinter Jesu Worten steht. 1 Tim 2,6 spricht von Jesus Christus als dem einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, „der sich als Lösegeld hingegeben hat
für alle
.“ Die universale Heilsbedeutung von Jesu Tod ist hier in kristallener Klarheit ausgesprochen.
Historisch differenzierte und miteinander in der Sache völlig übereinstimmende Antworten auf die Frage nach dem Radius von Jesu Heilswerk – indirekte Antworten auf das Problem viele
/
alle – können wir bei Paulus und bei Johannes finden. Paulus schreibt den Römern, dass die Heiden „in voller Zahl“
(plērōma)
das Heil erlangen müssen und dass ganz Israel gerettet wird (vgl. 11,25f). Johannes sagt, dass Jesus „für das Volk“ (die Juden) sterben werde, aber nicht nur für das Volk, sondern auch, um die zerstreuten Kinder Gottes zur Einheit zu sammeln (11,50ff). Jesu Tod gilt Juden und Heiden, der Menschheit im Ganzen.
Wenn mit „viele“ bei Jesaja wesentlich die Gesamtheit Israels gemeint sein mochte, so wird in der gläubigen Antwort der Kirche auf Jesu neuen Gebrauch des Wortes immer mehr sichtbar, dass er in der Tat für alle gestorben ist.
Der evangelische Theologe Ferdinand Kattenbusch hat 1921 zu zeigen versucht, dass die Stiftungsworte Jesu beim Letzten Abendmahl der eigentliche Akt der Kirchengründung seien. Damit habe Jesus seinen Jüngern das Neue gegeben, das sie zusammenschloss und sie zur Gemeinschaft machte. Kattenbusch hatte recht: Mit der Eucharistie ist die Kirche selbst gestiftet. Sie wird eins, sie wird sie selbst vom Leib Christi her, und sie wird zugleich von seinem Tod her geöffnet auf die Weite der Welt und der Geschichte hin.
Die Eucharistie ist sichtbares Geschehen der Versammlung, das – am Ort und über die Orte hin – Eintreten in die Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott ist, der die Menschen von innen her zueinanderführt. Kirche wird von der Eucharistie her. Sie empfängt von ihr her ihre Einheit und ihre Sendung. Die Kirche kommt vom Abendmahl, aber eben deshalb von Tod und Auferstehung Christi her, die er in der Gabe von Leib und Blut vorweggenommen hat.
VOM ABENDMAHL ZUR EUCHARISTIE AM SONNTAGMORGEN
B ei Paulus und Lukas folgt auf das Wort „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ der Wiederholungsbefehl: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“; Paulus bringt ihn in ausführlicherer Form noch einmal nach dem Kelchwort. Markus und Matthäus überliefern diesen Auftrag nicht. Aber da die konkrete Gestalt ihrer Berichte von liturgischer Übung geprägt ist, ist klar, dass auch sie dieses Wort als Stiftung verstanden: dass in der Jüngergemeinschaft weitergehen musste, was hier erstmals geschehen war.
So erhebt sich aber die Frage: Was genau hat der Herr zur Wiederholung aufgetragen? Sicher nicht das Pascha-Mahl (falls das Letzte Mahl Jesu ein solches war). Das Pascha war ein Jahresfest, dessen wiederkehrende Feier in Israel durch die heilige Überlieferung klar geregelt und an ein bestimmtes Datum gebunden war. Auch wenn es sich an jenem Abend nicht um ein eigentliches Pascha-Mahl nach jüdischem Recht handelte, sondern um ein letztes irdisches Mahl vor dem Tod, ist dieses nicht zur Wiederholung aufgetragen worden.
Zur Wiederholung aufgetragen ist so nur das, was Jesus an diesem Abend neu getan hat: das Brotbrechen, das Gebet des Segens und des Dankens und mit ihm die Worte der Verwandlung von Brot und Wein. Wir könnten sagen: Durch diese Worte wird unser Jetzt in den Augenblick Jesu hineingenommen. Es vollzieht sich, was Jesus in Joh12,32 angekündigt hat: Vom Kreuz her zieht er alle an sich, in sich hinein.
So war mit den Worten und
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