Jesus von Nazareth - Band II
Krise der Bundesgeschichte, einer Krise, deren deutlichste Manifestationen die Tempelzerstörung und das Babylonische Exil waren; schließlich ist da Jes 53,12 – die geheimnisvolle Verheißung des Gottesknechtes, der die Sünde vieler trägt und so für sie das Heil erwirkt.
Versuchen wir nun, diese drei Texte in ihrer je eigenen Bedeutung und in ihrem neuen Zusammenhang zu verstehen. Der Sinai-Bund beruhte nach der Darstellung von Ex 24 auf zwei Elementen: zum einen auf dem „Bundesblut“, dem Blut geopferter Tiere, mit dem der Altar – als Sinnbild Gottes – und das Volk besprengt wurden, zum anderen auf dem Wort Gottes und dem Gehorsamsversprechen Israels: „Das ist das Blut des Bundes, den der Herr aufgrund all dieser Worte mit euch geschlossen hat“, hatte Mose feierlich nach dem Besprengungsritus gesagt. Unmittelbar vorher hatte das Volk auf die Verlesung der Bundesurkunde geantwortet: „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun; wir wollen gehorchen“ (Ex 24,7f).
Dieses Gehorsamsversprechen, das für den Bund konstitutiv ist, wurde unmittelbar darauf, während Mose auf dem Berg war, durch die Anbetung des Goldenen Kalbes gebrochen. Die ganze Geschichte, die darauf folgt, ist eine Geschichte immer neuen Abfalls vom Gehorsamsversprechen, wie sowohl die Geschichtsbücher des Alten Testaments wie die Bücher der Propheten zeigen. Der Bruch scheint unheilbar in dem Augenblick, in dem Gott sein Volk der Verbannung und den Tempel der Zerstörung überlässt.
In dieser Stunde tritt die Hoffnung auf den „Neuen Bund“ hervor, der nicht mehr auf der immer brüchigen Treue menschlichen Wollens gegründet, sondern unzerstörbar in die Herzen selbst eingeschrieben ist (vgl. Jer 31,33). Der Neue Bund muss, mit anderen Worten, auf einen Gehorsam gegründet sein, der unwiderruflich und unverletzlich ist. Dieser nun in der Wurzel des Menschseins gründende Gehorsam ist der Gehorsam des Sohnes, der sich zum Knecht gemacht hat und allen menschlichenUngehorsam in seinem bis in den Tod gehenden Gehorsam aufnimmt, durchleidet und überwindet.
Gott kann den Ungehorsam der Menschen, all das Böse der Geschichte nicht einfach ignorieren, nicht als belanglos und bedeutungslos behandeln. Eine solche Art von „Barmherzigkeit“, von „bedingungsloser Vergebung“ wäre jene „billige Gnade“, gegen die sich Dietrich Bonhoeffer vor dem Abgrund des Bösen in seiner Zeit mit Recht gewandt hat. Das Unrecht, das Böse als Realität kann nicht einfach ignoriert, nicht einfach stehengelassen werden. Es muss aufgearbeitet, besiegt werden. Nur das ist die wahre Barmherzigkeit. Und dass Gott nun, weil die Menschen es nicht zustande bringen, es selber tut – das ist die „bedingungslose“ Güte Gottes, die nie gegen die Wahrheit und die ihr zugehörige Gerechtigkeit stehen kann. „Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen“, schreibt Paulus an Timotheus (2 Tim 2,13).
Diese seine Treue besteht darin, dass er nun nicht nur als Gott gegenüber den Menschen handelt, sondern auch als Mensch gegenüber Gott, und den Bund so unwiderruflich fest gründet. Deshalb gehört die Figur des Gottesknechtes, der die Sünden vieler trägt (Jes 53,12), mit der Verheißung des unzerstörbar gegründeten Neuen Bundes zusammen. Diese nicht mehr zu zerstörende Eingründung des Bundes im Herzen des Menschen, der Menschheit selbst, geschieht im stellvertretenden Leiden des Sohnes, der Knecht geworden ist. Von da an steht der ganzen schmutzigen Flut des Bösen der Gehorsam des Sohnes entgegen, in dem Gott selbst gelitten hat und dessen Gehorsam daher immer unendlich größer ist als die wachsende Masse des Bösen (vgl. Röm 5,16 – 20).
Das Tierblut hatte weder „sühnen“ noch Gott und Menschen verbinden können. Es konnte nur ein Zeichen der Hoffnung und der Erwartung auf einen wirklich rettenden größeren Gehorsam sein. Im Kelchwort Jesu ist dies alles zusammengefasst und zur Wirklichkeit geworden: Er schenkt den „Neuen Bund in seinem Blut“. „Sein Blut“ – das ist die vollständige Gabe seiner selbst, in der er alles Unheil der Menschheit durchleidet, allen Treubruch aufarbeitet in seine bedingungslose Treue hinein. Das ist der neue Kult, den er im Abendmahl stiftet: das Hineinziehen der Menschheit in seinen stellvertretenden Gehorsam. Teilhabe an Leib und Blut Christi bedeutet, dass er „für viele“, für uns steht und uns im Sakrament in diese Vielen
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