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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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und im Wort vom verworfenen Stein werden Dunkel und Verheißung dieser Nacht zugleich gegenwärtig.
     
    Jesus betet mit seinen Jüngern die Psalmen Israels: Dies ist ein grundlegender Vorgang einerseits zum Verständnis der Gestalt Jesu, aber andererseits auch zum Verständnisder Psalmen selbst, die in ihm in gewisser Hinsicht ein neues Subjekt, eine neue Weise der Gegenwart und zugleich eine Erweiterung über Israel hinaus ins Universale erhalten.
    Wir werden sehen, dass darin auch eine neue Vision der Gestalt Davids aufsteht: Im kanonischen Psalter wird David als der Hauptverfasser der Psalmen angesehen. Er erscheint so als der Vor-Beter Israels, der alle Leiden und Hoffnungen Israels zusammenfasst, in sich trägt und in Gebet verwandelt. So kann nun Israel immerfort mit ihm beten und sich selbst ausdrücken in den Psalmen, von denen her es auch in allen Dunkelheiten immer neue Hoffnung empfängt. In der werdenden Kirche wurde alsbald Jesus als der neue, der wirkliche David betrachtet, und so konnten die Psalmen ohne Bruch doch neu als ein Beten in der Gemeinschaft mit Jesus Christus vollzogen werden. Augustinus hat diese früh sich bildende Form christlichen Psalmenbetens in vollendeter Weise erklärt, indem er sagte, in den Psalmen spreche immer Christus – einmal als Haupt, einmal als Leib (vgl. z.   B.
En. in Ps
. 60,1f; 61,4; 85,1.5). Aber durch ihn, Jesus Christus, sind wir nun doch ein einziges Subjekt und können so mit ihm wirklich mit Gott reden.
    Dieser Vorgang der Aufnahme und der Transposition, der in Jesu Psalmenbeten beginnt, ist kennzeichnend für die Einheit der beiden Testamente, wie er sie uns lehrt. Er selbst betet ganz mit Israel mit und ist doch Israel auf neue Weise: Das alte Pascha erscheint nun als ein großer Vor-Entwurf. Aber das neue Pascha ist er selbst, und die wirkliche „Befreiung“ geschieht jetzt, durch seine die ganze Menschheit umgreifende Liebe.
     
    Dieses Ineinander von Treue und Neuheit, das wir alle Kapitel dieses Buches hindurch in der Gestalt Jesu beobachten konnten, zeigt sich auch noch an einem anderen Detail der Ölberggeschichte. Die Nächte zuvor hatte Jesus sich nach Bethanien zurückgezogen. In dieser Nacht, die er als seine Pascha-Nacht begeht, folgt er der Vorschrift, das Stadtgebiet von Jerusalem nicht zu verlassen, dessen Grenze für diese Nacht erweitert wurde, um allen Pilgern die Möglichkeit zu bieten, sich an dieses Gesetz zu halten. Jesus beachtet die Norm und geht gerade so wissend dem Verräter und der Stunde der Passion entgegen.
    Wenn wir an diesem Punkt noch einmal auf den ganzen Weg Jesu zurückblicken, sehen wir auch hier das gleiche Ineinander von Treue und völliger Neuheit: Jesus ist „observant“. Er feiert die jüdischen Feste mit. Er betet im Tempel. Er hält sich an Mose und die Propheten. Aber zugleich wird doch alles neu: von seiner Auslegung des Sabbat (Mk 2,27; vgl. dazu auch Teil I, S.   138   –   145) über die Reinheitsgebote (Mk 7) zur neuen Interpretation des Dekalogs in der Bergpredigt (Mt 5,17   –   48) bis hin zur Tempelreinigung (Mt 21,12f par.), die das Ende des steinernen Tempels vorwegnimmt und den neuen Tempel, die neue Anbetung „in Geist und Wahrheit“ (Joh 4,24) ankündigt.
    Wir haben gesehen, dass dies in einer tiefen Kontinuität zum ursprünglichen Gotteswillen steht und zugleich der entscheidende Wendepunkt der Religionsgeschichte ist, der mit dem Kreuz Realität wird. Gerade dieser Eingriff – die Tempelreinigung – hat wesentlich zu seiner Verurteilung zum Kreuzestod beigetragen, und eben so hat sich seine Prophetie erfüllt, hat der neue Kult begonnen.
     
    „Sie kamen zu einem Grundstück, das Gethsemani heißt, und er sagte zu seinen Jüngern: Setzt euch und wartet hier, während ich bete“ (Mk 14,32). Gerhard Kroll bemerkt dazu: „Zur Zeit Jesu befand sich auf diesem Gelände am Abhang des Ölberges ein Gehöft mit einer Ölkelter, in der die Oliven ausgepresst wurden   … Sie gab dem Gehöft den Namen: Gethsemani   … Ganz in der Nähe lag eine große Naturhöhle, die Jesus und seinen Jüngern eine sichere, wenn auch nicht gerade bequeme Unterkunft für die Nacht bieten konnte“ (S.   404). Die Pilgerin Aetheria fand schon im ausgehenden 4.   Jahrhundert hier eine „prächtige Kirche“ vor, die in den Wirren der Zeiten verfiel, aber von den Franziskanern im 20.   Jahrhundert wieder freigelegt wurde. „Die neue, im Jahre 1924 vollendete Kirche der Todesangst Jesu umschließt mit

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