Jesus von Nazareth - Band II
aufnimmt.
Nun bleibt noch ein Wort aus den Stiftungsworten Jesu auszulegen, das in jüngster Zeit Anlass zu vielfältigen Debatten geworden ist. Nach Markus und Matthäus hat Jesus gesagt, dass sein Blut „für viele“ ausgegossen werde und damit eben auf Jes 53 angespielt, während bei Paulus und Lukas vom Geben bzw. vom Ausgießen „für euch“ die Rede ist.
Die neuere Theologie hat mit Recht das allen vier Berichten gemeinsame Wort „für“ unterstrichen, das man als Schlüsselwort nicht nur der Abendmahlsberichte, sondern der Gestalt Jesu überhaupt ansehen darf. Sein ganzes Wesen wird mit dem Wort „Proexistenz“ umschrieben – ein Stehen nicht für sich selbst, sondern für die anderen, das nicht etwa nur eine Dimension dieser Existenz ist, sondern ihr Innerstes und Ganzes. Sein Sein ist als solches „Sein für“. Wenn uns gelingt, dies zu verstehen, dann sind wir wirklich dem Geheimnis Jesu nahegekommen, dann wissen wir auch, was Nachfolge heißt.
Aber was bedeutet „ausgegossen für viele“? In seinem grundlegenden Werk
Die Abendmahlsworte Jesu
(1935) hat Joachim Jeremias zu zeigen versucht, dass das Wort „viele“ in den Einsetzungsberichten ein Semitismus sei und daher nicht von der griechischen Wortbedeutung her, sondern von den entsprechenden alttestamentlichen Texten aus gelesen werden müsse. Er versucht zu beweisen, dass das Wort „viele“ im Alten Testament „die Gesamtheit“ bedeute, also in Wirklichkeit mit „alle“ zu übersetzen sei. Diese These hat sich damals schnell durchgesetzt und wurde zum theologischen Allgemeingut. Von ihr her wurde dann in verschiedenen Sprachen bei den Wandlungsworten „viele“ mit „alle“ übersetzt. „Für euch und für alle vergossen“, hören heute die Gläubigen die Worte Jesu während der Eucharistiefeier.
Inzwischen ist aber dieser Konsens unter den Exegeten wieder zerbröckelt. Die überwiegende Meinung geht heute dahin, dass „viele“ in Jes 53 und auch an anderen Stellen zwar eine Gesamtheit bezeichne, aber nicht einfach mit „alle“ gleichgesetzt werden könne. Im Anschluss an qumranischen Sprachgebrauch geht man jetzt überwiegend davon aus, dass „viele“ bei Jesaja und bei Jesus die „Gesamtheit“ Israels bedeute (vgl. Pesch,
Abendmahl
, S. 99f; Wilckens I/2, S. 84). Erst mit dem Übergang des Evangeliums zu den Heiden sei der universalistische Horizont von Jesu Sterben und seiner Sühne sichtbar geworden, die Juden und Heiden gleichermaßen umfasst.
Neuerdings hat der Wiener Jesuit Norbert Baumert zusammen mit Maria-Irma Seewann eine Deutung des „für viele“ vorgelegt, die in der Hauptlinie schon 1947 Joseph Pascher in seinem Buch
Eucharistia
entwickelt hatte. DerKern der These ist: Das „Ausgegossen-Werden“ beziehe sich von der sprachlichen Struktur des Textes her nicht auf das Blut, sondern auf den Becher; „es wäre dann von einem aktiven ‚Aus-schenken’ des Blutes aus dem Kelch die Rede, worin das göttliche Leben selbst überreich geschenkt wird, ohne dass das Tun von Henkern auch nur mit anklingen würde“ (
Gregorianum
89, S. 507). Das Kelchwort würde also nicht vom Vorgang des Kreuzestodes und seiner Wirkung, sondern von der sakramentalen Handlung sprechen, und so würde auch das Wort „viele“ sich klären: Während der Tod Jesu „für alle“ gilt, ist die Reichweite des Sakraments beschränkter. Es kommt zu vielen, aber nicht zu allen (vgl. bes. S. 511).
Diese Lösung kann, streng philologisch betrachtet, für den Markus-Text in 14,24 zutreffen. Wenn man dem Matthäus-Text keine Originalität gegenüber Markus zuschreibt, könnte sie für die Abendmahlsworte als einleuchtend bezeichnet werden. Der Verweis auf den Unterschied zwischen dem Radius der Eucharistie und dem universalen Radius des Kreuzestodes Jesu ist auf jeden Fall wertvoll und kann ein Stück voranführen. Aber das Problem des Wortes „viele“ ist damit doch nur zum Teil erklärt.
Denn es bleibt die grundlegende Deutung, die Jesus von seiner Sendung in Mk 10,45 gibt, in der ebenfalls das Wort „viele“ erscheint: „Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ Hier ist klar von der Lebenshingabe als solcher die Rede, und so ist klar, dass Jesus dabei die Gottesknecht-Prophetie von Jes 53 aufnimmt und mit der Sendung des Menschensohnes verbindet, die damit eine neue Deutung erfährt.
Was
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