Jesus von Nazareth: Prolog - Die Kindheitsgeschichten (German Edition)
Aber gerade dann ist es bedroht: Sie wollen ihre Macht mit der Macht Jesu verknüpfen, und gerade so entstellen sie sein Reich, bedrohen sie es. Oder aber es ist der beständigen Verfolgung durch die Herrscher ausgesetzt, die kein anderes Reich dulden und den machtlosen König vernichten möchten, dessen geheimnisvolle Macht sie dennoch fürchten.
Aber „seines Reiches ist kein Ende“: Dieses andere Reich ist nicht auf weltliche Macht aufgebaut, sondern gründet allein auf Glaube und Liebe. Es ist die große Kraft der Hoffnung inmitten einer Welt, die so oft von Gott verlassen zu sein scheint. Das Reich des Davidsohnes Jesus kennt kein Ende, weil in ihm Gott selbst herrscht, weil in ihm Gottes Reich in diese Welt eindringt. Die Verheißung, die Gabriel der Jungfrau Maria übermittelt hat, ist wahr. Sie erfüllt sich immer neu.
Die Antwort Marias, zu der wir nun kommen, entfaltet sich in drei Schritten. Die erste Reaktion auf den Gruß des Engels ist Erschrecken und Nachdenklichkeit. Ihre Reaktion ist verschieden von der des Zacharias. Von ihm wird gesagt, dass er erschrocken sei und „Furcht ihn überfiel“ (Lk 1,12). Bei Maria ist das erste Wort gemeinsam (sie erschrak), aber dann folgt nicht Furcht, sondern ein inneres Bedenken des Engelsgrußes. Sie überlegt (dialogisiert insich selbst), was der Gruß des Gottesboten zu bedeuten hat. So tritt hier schon ein charakteristischer Zug des Bildes der Mutter Jesu hervor, der uns in ähnlichen Situationen im Evangelium noch zweimal begegnet: das innere Umgehen mit dem Wort (vgl. Lk 2,19.51).
Sie bleibt nicht beim ersten Erschrecken über die Nähe Gottes in seinem Engel, sondern sie sucht nach Verstehen. Maria erscheint so einerseits als eine furchtlose Frau, die auch vor dem Unerhörten besonnen bleibt. Zugleich steht sie da als eine innerliche Frau, die Herz und Verstand beieinander hält und den Zusammenhang, das Ganze von Gottes Botschaft zu erkennen sucht. Sie wird so zum Bild der Kirche, die das Wort Gottes bedenkt, seine Ganzheit zu verstehen versucht und das Geschenkte in ihrem Gedächtnis bewahrt.
Rätselhaft ist für uns die zweite Reaktion Marias. Der Engel hatte ihr ja auf ihr Nachdenken hin, mit dem sie den Gruß des Gottesboten aufgenommen hatte, ihre Erwählung zur Mutter des Messias mitgeteilt. Maria stellt darauf eine kurze, einschneidende Frage: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ (Lk 1,34).
Betrachten wir wieder den Unterschied zur Reaktion des Zacharias, der mit einem Zweifel an der Möglichkeit des ihm zugedachten Auftrags reagierte. Er war wie Elisabeth in vorgerücktem Alter; er durfte auf keinen Sohn mehr hoffen. Maria hingegen zweifelt nicht. Sie fragt nicht nach dem Dass, sondern nach dem Wie der Verwirklichung der Verheißung, deren Weg für sie nicht erkennbar ist: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ (1,34). Diese Frage erscheint unverständlich, da Maria ja verlobt war und nach jüdischem Recht bereits als einer Ehefraugleichgestellt galt, auch wenn sie noch nicht bei ihrem Mann wohnte und die eheliche Gemeinschaft noch nicht aufgenommen war.
Seit Augustinus wurde die Frage in dem Sinn erklärt, dass Maria ein Jungfräulichkeitsgelübde abgelegt habe und die Verlobung eingegangen sei, um einen Schützer ihrer Jungfräulichkeit zu haben. Aber diese Rekonstruktion fällt völlig aus der Welt des Judentums zur Zeit Jesu heraus und scheint in dessen Kontext nicht denkbar zu sein. Indes – was bedeutet das Wort dann? Eine einleuchtende Antwort darauf ist von der modernen Exegese nicht gefunden worden. Man sagt, Maria habe zu diesem Zeitpunkt, da noch nicht „heimgeholt“, keinen Umgang mit einem Mann gehabt und den Auftrag als unmittelbar drängend angesehen. Aber das überzeugt nicht, denn die Zeit der Heimholung konnte nicht lange auf sich warten lassen. Andere Ausleger wollen den Satz als eine rein literarische Konstruktion ansehen, um den Dialog zwischen Maria und dem Engel weiterzuführen. Auch dies ist keine wirkliche Erklärung des Satzes. Man könnte auch noch daran erinnern, dass nach jüdischer Sitte die Verlobung einseitig vom Mann ausgesprochen wurde und die Frau dabei nicht um ihr Einverständnis gefragt wurde. Aber auch dieser Hinweis löst das Problem nicht.
So bleibt das Rätsel – oder vielleicht sagen wir besser: das Geheimnis – dieses Satzes bestehen. Maria sieht aus uns nicht zugänglichen Gründen keinen Weg, dass sie in der Weise des ehelichen Umgangs Mutter des
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