Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
Vom Netzwerk:
fanatisierten, ungeduldigen Mann haben in der neueren Bibelforschung eine Reihe von Gelehrten den Judas dargestellt. Andere nehmen ihn in Schutz, er habe schließlich nur als Werkzeug Gottes fungiert. Immerhin fährt im Johannesevangelium erst dann »der Satan in ihn«, als Jesus ihm beim Abendmahl den Bissen reicht. In der Apostelgeschichte des Lukas erhängt sich der Übeltäter nicht, sondern stürzt unglücklich, »so dass alle seine Eingeweide hervorquollen« – auch kein wünschenswertes Ende.
    So fasziniert die Evangelisten von dieser Figur waren, so wenig teilen sie mit über jenen Jünger, der Judas im Zwölferkreis ersetzt. Ein Barsabbas konkurriert mit Matthias, den nach frommem Gebet das Los und also der Fingerzeig Gottes trifft. »Und er wurde zugeordnet zu den elf Aposteln«, heißt es in der Apostelgeschichte, die dann kein Wort mehr verliert über den eingewechselten Ersatzspieler. So wird noch einmal deutlich: Es geht den christlichen Geschichtenschreibern nicht um die Individuen. Wichtig ist die Vollständigkeit des Zwölferkreises als Symbol der zwölf Stämme Israels – als Legitimation zur Verkündigung der anbrechenden Gottesherrschaft.

Heilige Nägel und Knochen
    Ob Holzsplitter vom Kreuz, Dornen oder Schweißtuch, eigentlich alles, was mit Jesus in Verbindung gebracht werden konnte, wurde zur Reliquie. Doch wie echt die Verehrungsstücke sind, bleibt umstritten.
    Von Mathias Schreiber
    Wenn ein Heiliger stirbt, ein durch besondere Nähe zu Gott Ausgezeichneter, dann lässt er verehrungswürdige Relikte zurück. Das sind in erster Linie körperliche Reste, also Knochen oder Asche, dann aber auch Dinge, die der Verblichene an sich und um sich hatte. Diese Dinge bewirken bei dem, der sie gläubig berührt oder anschaut, weil er irgendeine Not leidet, zuweilen wunderbare Besserung. Darum heißen sie in den christlichen Kirchen seit alter Zeit auch »Heiltümer«. Ursprünglich haben Reliquien ja etwas Erschreckendes an sich. Sie stammen aus dem Schattenreich von Asche und Gebein, Anatomie und Zerstückelung, Grabschändung und Nekrophilie. Als der Franziskanermönch Antonius von Padua, ein bewunderter Prediger des frühen 13. Jahrhunderts, im Alter von 35 Jahren gestorben war, schnitten ihm seine Verehrer die Zunge heraus und konservierten sie. Das Organ wird in Padua bis heute als Reliquie bewahrt; sie soll dem, der sie ehrt, die Zunge lösen können.
    Aber Reliquienkulte gibt es nicht nur im Christentum. Als Buddha, »der Erleuchtete«, hochbetagt gestorben war, wurde sein Körper eingeäschert. Die Asche, die Knochen, auch die Zähne wurden unter verschiedenen Dynastien Nordindiens aufgeteilt. Diese heiligen Reste des irdischen Buddha wurden in Hügelgräbern bestattet, aus denen später Mausoleen oder Tempel wurden. Das war ein halbes Jahrtausend vor Jesus. Von dessen spärlichen Hinterlassenschaften handelt das wichtigste und auch aufregendste Kapitel der christlichen Reliquienkultur. Sie entstand etwa im 2. Jahrhundert. Die Gebeine der frühchristlichen Märtyrer, die in den römischen Katakomben beerdigt sind, wurden früh als »heilige Leichname« verehrt und gesammelt. Was Jesus selbst angeht, so war diese Art der Reliquienbildung von Anfang an eigentlich unmöglich. Denn Jesus ist ja, etwa nach dem Zeugnis der biblischen Apostelgeschichte, leibhaftig von den Toten auferstanden und vor den Augen seiner Jünger »zum Himmel« aufgefahren – »und eine Wolke entzog ihn ihren Blicken«. Das bedeutet: Es gibt keine körperlichen Überbleibsel von ihm.
    Gleichwohl tauchten über die Jahrhunderte auf makabre Weise immer wieder Körperteile auf, die von Jesus stammen sollen: Nabelschnur, Haare, Milchzähne, die beschnittene Penisvorhaut, Tränen, Fingernägel, vergossenes Blut des Heilands. Gewiss ist es theoretisch möglich, dass von Jesus solcherlei zurückblieb, faktisch aber wurden sie alle von geschäftstüchtigen Fälschern mit guten Beziehungen zu Totengräbern fabriziert. So existieren denn auch von der Penisvorhaut des Gottessohns gleich etliche Exemplare. Obwohl dingliche Erinnerungsstücke Reliquien zweiter Klasse sind, spielen sie bei Jesus, dem körperlich Entschwundenen, die Hauptrolle: Splitter vom Heiligen Kreuz, Kreuzigungsnägel, Dornenkrone, Fetzen vom Schwamm, der dem Durstigen am Kreuz Essig darbot, Teile der Lanze, die eine Seite des Gekreuzigten geöffnet haben soll, Teile der Geißelungssäule, Schweißtuch, Grabtuch, heilige Tunika, Sandalen, selbst irgendwelche

Weitere Kostenlose Bücher