Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
harten Fragestellungen gern ausweichenden Mann, den die Evangelien beschreiben.
Die Skepsis moderner Menschen gegenüber dem merkwürdig ansatzlosen Vertrauen zwischen Guru und Jüngern hat schon im 19. Jahrhundert der Theologe David Friedrich Strauß herrlich beschrieben: »Für uns zwar ist es wunderbar genug, dass Jesus Männer, die er, wie man der Erzählung nach annehmen muss, zum ersten Male sah oder doch nicht näher kannte, ohne weiteres zu seiner Nachfolge berufen, und diese dem Rufe ohne weiteres sollen Folge geleistet haben.« Fest steht jedenfalls: Sich auf so einen Anführer einzulassen erforderte ein besonderes Maß an Unzufriedenheit und Abenteuerlust, auch an spiritueller Orientierungslosigkeit. Mag der charismatische Meister seine Jünger zu jenseitigem Denken inspiriert haben – das irdische Dasein dieser Bettler war sicher kein Zuckerschlecken: in kärglichster Kleidung, die wunden Füße womöglich nicht einmal in Sandalen, von festem Schuhwerk ganz zu schweigen, ohne Geld, ohne Nahrung.
»Seht die Vögel unter dem Himmel an«, predigt Jesus, »sie säen nicht, sie ernten nicht; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.« Das klingt toll für heutige Christen, die kurz nach dem Gottesdienstbesuch schon wieder Ochsenschwanzsuppe schlürfen. Den Jüngern mögen die berühmten Worte des Meisters aus der Bergpredigt manchmal wie Hohn in den Ohren geklungen haben, wenn nachts am Lagerfeuer unter freiem Himmel der Magen vernehmlich knurrte, wenn sie von misstrauischen Bewohnern wieder einmal aus dem Dorf gejagt worden waren wie räudige Hunde. Als Lohn gingen die zwölf zwar in die Geschichte ein, in der Bibel selbst kommen sie aber nicht sonderlich gut weg. Wenn sie überhaupt auftreten, dann häufig als unverständige Trampel, die wieder einmal gar nichts kapiert haben. Gegen Ende des Matthäusevangeliums etwa ärgern sie sich über eine Frau, die den Meister mit einem »kostbaren Salböl« verwöhnt. Man hätte viel Geld für die Armen erlösen können, schimpfen sie und werden von Jesus in die Schranken gewiesen: »Sie hat ein gutes Werk an mir getan.«
Gut möglich, dass die Evangelisten solche Passagen in pädagogischer Absicht formuliert haben: Neugierige und frisch bekehrte Zuhörer vermochten sich mit den Menschen zu identifizieren, die durch Suche und Irrtum zum Glauben gefunden haben. Oder durch Zweifel. Gegen Ende des Matthäusevangeliums knien zwar die überlebenden elf Apostel vor dem Auferstandenen nieder; »einige aber zweifelten«, heißt es dann, ohne dass Namen genannt werden. Hingegen wird das Johanneskollektiv deutlicher: Thomas ist der Oberzweifler, als solcher ist er in die Geschichte eingegangen, weshalb Spötter gern vom »ungläubigen Thomas« reden. Schon in Leonardo da Vincis »Abendmahl« hebt er den Finger, als wollte er wortreich mitteilen, der von Jesus soeben angekündigte Verrat sei doch recht unwahrscheinlich. Nach der Hinrichtung zweifelt Thomas erst recht: Er muss den Auferstandenen erst berühren, ihm gar den Finger in die Seite bohren, wie es der Maler Caravaggio 1601 auf unvergleichlich drastische Weise nachempfunden hat.
Zu den Zweiflern zählt auch jener Jünger, den alle Aufzählungen der Evangelisten stets an erster Stelle nennen: Simon Petrus. Von ihm wissen wir biografische Details, die ihn aus der Zwölferschar hervorheben. Er ist etwa so alt wie Jesus, in Betsaida am See Genezareth geboren, lebt nun einige Kilometer weiter westlich als Fischer in Kapernaum mit seiner Frau, seiner kranken Schwiegermutter und seinem Bruder Andreas, der ebenfalls als Fischer arbeitet. Das Brüderpaar folgt dem Meister einerseits bedingungslos; andererseits bleibt Simon doch sein eigener Herr, oder sollte man sagen: ein autonomer Mensch?
Ausgerechnet Simon gibt der neue Messias den aramäischen Beinamen Kephas (griechisch »petros«, für Stein) und adelt ihn als den Felsen, auf dem er seine Kirche aufbauen will. Petrus ist ein Aufschneider und Wichtigtuer, einer, der immer alles genau wissen will, sich selten zufriedengibt und mit natürlicher Autorität für die zwölf spricht. Wie kein anderer gerät er für Jesus zum Dialogpartner, er wagt es, dem Meister ins Gewissen zu reden und beispielsweise von der Reise nach Jerusalem abzuraten, wofür Jesus ihn wütend als »Satan« bezeichnet. »Heftigen Charakter« hat Goethe diesem Jünger attestiert, wofür ja allein schon sein Auftritt im Garten Gethsemane spricht: Es ist Petrus, der angesichts überwältigender
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