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Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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zwischen dem Meister und seinen Jüngern. Johannes, »der Jünger, den Jesus lieb hatte« und »bei Tisch an der Brust Jesu« lag, wird von Künstlern seit Jahrhunderten als anschmiegsamer Jüngling dargestellt (manche glauben freilich, dass Leonardo in ihm eine Frau gesehen hat).
    Einen interpretationsfähigen Hinweis mag Eifrigen auch die Stelle im Markusevangelium liefern, in der von einem »jungen Mann« die Rede ist, »mit einem Leinengewand bekleidet auf der bloßen Haut«. Dieser ist der Letzte, der Jesus nach dessen Verhaftung im Garten Gethsemane noch nachfolgt; die Jünger selbst haben sich aus dem Staub gemacht. Als die Häscher des Hohepriesters auch ihn in Gewahrsam nehmen wollen, flieht der Namenlose nackt – und verschwindet im Nebel der Überlieferung. Wieder so ein paar Zeilen, die ohne Zusammenhang und Erklärung die sonst so packende Erzählung des frühesten Evangelisten verlangsamen. Wenn Markus es denn als Chiffre meinte, so ist die Entschlüsselung bis heute nicht gelungen. Den »geheimen« Textteil, den der US -Historiker Morton Smith 1973 präsentierte, halten heutige Forscher für eine Fälschung. Die Gesellschaft, in der Jesus agierte, sei nun mal patriarchalisch geprägt gewesen, argumentiert Justin Meggitt: »Dass Männer im Nahen Osten viel Zeit miteinander verbrachten, bedeutet nicht gleich, dass sie auch ein sexuelles Verhältnis hatten.«
    Meggitt interessiert eine andere Frage viel mehr: Warum haben die Jünger – bis auf den Selbstmörder Judas – das österliche Geschehen überhaupt überlebt, wo doch ihr Anführer einem jämmerlichen Tod zugeführt wurde? Schließlich sei es für Kolonisierte im Römischen Reich »nicht sonderlich schwer« gewesen, am Kreuz zu enden, sagt Meggitt lakonisch. Unter Pontius Pilatus wurden mutmaßliche Aufständische gleich mal zu Dutzenden getötet. Dass die Jünger diesem Schicksal entgingen, jedenfalls zunächst, begründet Meggitt provokant: Die Römer hätten Jesus für einen »zerrütteten, sich selbst überschätzenden Geistesgestörten« gehalten, für ein Ärgernis zwar, dem man den Garaus machen sollte, aber eben nicht für den potentiellen Führer eines gefährlichen Aufstands. Die Art und Weise, wie der Zwölferkreis und die weitere Jüngerschar am Karfreitag auseinanderstoben, gab den Herrschenden zunächst recht.
    Selbst wenn wir vom grässlichen Tod des Meisters absehen, haben wir es ja keineswegs mit einer durchgängigen Erfolgsgeschichte zu tun. Natürlich sorgt Jesus in den Dörfern Galiläas immer wieder für Menschenaufläufe. In der Bibel ist viel von Heilsuchenden die Rede, von Kranken, Armen und Schwachen, von echten Aussätzigen und solchen, die es im übertragenen Sinn waren: Prostituierte, Steuereintreiber (Zöllner), psychisch Kranke. Oft dürften schlichtweg Neugierige überwogen haben, die sich ihren kargen Alltag gern einmal von einem Geschichtenerzähler verschönern ließen. Später mag das Bedürfnis hinzugekommen sein, diesen Jesus einmal mit eigenen Augen zu sehen, von dem so viel gemunkelt und geschwärmt wurde. Angaffen, anfassen, bewundern, na gut! Aber so einem Wanderprediger im Wortsinn nachzufolgen, das war ein ganz anderer Schritt. Und noch dazu diesem Unbedingten, der allen Ernstes darauf bestand, man müsse ihm jetzt, sofort, in dieser Minute nacheilen, nicht erst, wenn das Vieh versorgt oder der gefangene Fisch verkauft ist. Ja, nicht einmal das ordentliche Begräbnis des toten Vaters soll einem namenlosen Jünger gestattet gewesen sein, wie Matthäus kolportiert. Das ist in der Hitze des Nahen Ostens nicht nur ein hygienisches Problem und ein Kulturverstoß, sondern ein Sakrileg, ein Religionsfrevel im eigentlichen Sinn, weil es gegen das vierte Gebot verstößt (»Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren«).
    Unvergleichlich hart fasst Jesus die »Radikalität der Wandercharismatiker«, so der Neutestamentler Gerd Theißen, bei Lukas in einem Wort zusammen, das die Forscher gerade deshalb für authentisch halten: »Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.« Freilich ist vorher von einer »großen Menge« die Rede, die Jesus bedrängte; ob ihm der Zulauf so auf die Nerven ging, dass er die Massen mit radikalen Sprüchen verschrecken wollte? Oder handelt es sich nur um die blumige Sprache des Morgenlandes? Beides stünde im Einklang mit dem widersprüchlichen, unlogischen, unpraktischen,

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