Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
in Form einer Träne gebaut, sie symbolisiert den Ort, wo Jesus weinte, als er den Untergang Jerusalems prophezeite. Manchmal konnten sich die Glaubensbrüder nicht einigen, dann mussten es zwei Kirchen sein an einem Ort, so wie auf dem Berg Tabor, wo Jesus verklärt worden sein soll und angeblich Gott aus einer leuchtenden Wolke rief: »Dies ist mein lieber Sohn.« Dort gibt es ein katholisches und, in sicherem Abstand hinter einer stabilen Mauer, ein griechisch-orthodoxes Gotteshaus. Die Verklärung ist historisch ohnehin nicht zu fassen. Und obwohl kaum jemand bezweifelt, dass Jesus in Jerusalem am Kreuz gestorben ist, ist doch die Route seines Leidensweges, die Pilger seit Jahrhunderten nachschreiten, hoch umstritten. Auch wir gehen sie, von Station 1 (Jesus wird zum Tode verurteilt) über die 4. Station (Jesus begegnet seiner Mutter) und die 9. (Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz) bis zur 14., seiner Grablegung, und an fast jeder Station gibt es eine Kirche oder Kapelle.
Viele Pilger sind hier unterwegs, sie singen, beten, manche schleppen Leihkreuze. Start ist die einstige Antonia-Festung an der Nordflanke des Tempelbergs, hier soll Pontius Pilatus ihn verurteilt haben. Doch nach dem Stand heutiger Forschung fand die Verurteilung eher im Palast am Davidsturm statt, am entgegengesetzten Eingang der Stadtmauer also. Für die Experten der Fachzeitschrift »Welt und Umwelt der Bibel« ist die Via Dolorosa denn auch »eine Reihung theologischer, nicht historischer Orte«. Manche Pilgerstätten, wie eben das Prätorium des Pilatus, wechselten, so der Theologe Klaus Bieberstein, im Lauf der Jahrhunderte sogar mehrmals den Standort. Müsste man die Route nicht umlegen? »Die Gewissheit des Glaubens ist viel stärker als jede Rationalität von Argumenten«, sagt Murphy-O’Connor.
Der Schauplatz des Todes Jesu ist für viele Experten dagegen gut belegt. »Zu 99 Prozent sicher«, sagt der Dominikaner, stehe die Grabeskirche »an dem Ort, wo Jesus starb und begraben wurde«. Bedauerlicherweise sei es gleichzeitig »der wohl unchristlichste Ort« des Heiligen Landes. Sechs Glaubensgemeinschaften, römische Katholiken, Armenier, Syrer, Kopten, Griechisch-Orthodoxe und Äthiopier, teilen sich das von Konstantin dem Großen gegründete Gotteshaus. Doch weil sie sich ständig streiten, legten schon im 19. Jahrhundert die osmanischen Herrscher fest, wer wann Gottesdienst halten und wer welche Lampen anzünden darf, wer wo Kehrdienst hat. Die Schlüsselgewalt wurde sicherheitshalber einem neutralen Dritten in Gestalt eines muslimischen Hausmeisters überlassen. Immer wieder kommt es sogar zu Schlägereien, mal befehden sich Franziskaner und griechisch-orthodoxe Priester darüber, wer die Kirchentür öffnen darf, mal hatte ein koptischer Mönch seinen Stuhl auf dem Dach der Kirche in den Schatten gerückt, just dorthin, wo die äthiopischen Mönche auf ihre Rechte pochen.
Schon in frühen Pilgerjahren waren die Gläubigen hier, am prominentesten Ort der Christenheit, nicht nur von edlen Motiven bewegt. Von Egeria wissen wir, dass Wallfahrer bei der Verehrung des Heiligen Kreuzes einen Splitter vom Kreuz abzubeißen versuchten, während sie sich zum Kuss darüber neigten. Wegen der komplizierten Besitzverhältnisse ist die Grabeskirche ziemlich verbaut und von Touristen meist überlaufen. »Ich wünschte, das Grab hätte ich nicht gesehen«, wird einer aus unserer Gruppe am Schluss der Reise sagen. Aus anderen Gründen gilt das wohl auch für Bethlehem, das Israel hinter einer hohen Mauer weggesperrt hat, angeblich um sich vor palästinensischer Gewalt zu schützen. Vom Zimmer unseres Hotels Paradise kann man den Wachturm mit den israelischen Soldaten sehen. »Ich werde in Zukunft eher Bauchweh haben als weihnachtliche Gefühle, wenn ich an Bethlehem denke«, sagt meine Sitznachbarin im Bus.
Wir besuchen die Geburtskirche, in der sich 2002 über 120 palästinensische Milizionäre verschanzten, weshalb sie vom israelischen Militär belagert wurde. Auch hier herrscht ein strenger Kodex, nach dem sich Griechen, Armenier und Römisch-Katholische das unter Kaiser Justinian erneuerte Gotteshaus teilen. Als wir uns in die Warteschlange vor der Geburtsgrotte stellen, sind dort gerade die Armenier mit ihrer Messe an der Reihe. Schließlich schicken sie noch ein Putzkommando mit Staubwedeln und Wischlappen in die Grotte, wie es die Regeln vorsehen. Ein Mönch schrubbt den Geburtsstein mit Schwamm und Schaber. Erst nach einer
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