Jesus von Texas
Sicherheitseinfassung angebracht sein wird, übrigens ständig erfaßt von einer Kamera, um Versehen auszuschließen. Solltest du jedoch zu einem beliebigen Zeitpunkt des Prozesses beabsichtigen, den Charakter deiner Einlassung zu ändern oder in irgendeiner Weise deine bisherige Aussage zu widerrufen, dann gibt der Summer dir die Möglichkeit, deinen Entschluß umgehend und unmißverständlich in die Tat umzusetzen, während er für die Zuschauer rund um den Globus eine wertvolle visuelle Handreichung zur Beurteilung deines Falles darstellt.«
»Gibt es auch einen Summer, den man drücken kann, wenn man unschuldig ist?«
»Vernon, du bist unschuldig. Bis zum Beweis deiner Schuld - erinnerst du dich?« Der Mann rückt näher heran und lächelt mir ins Gesicht, als wäre ich ein sehr kleines Kind. »Ich kann dir versichern, daß bei der Planung des Systems jegliche denkbare Vorsorge getroffen wurde. Sowohl der Knopf selbst als auch das Licht, das er aktiviert, sind grün, um die beklemmenderen Assoziationen der Farbe Rot zu vermeiden. Und noch etwas: Obwohl wir ihn spaßeshalber als Summer bezeichnen, klingt er in Wirklichkeit mehr wie eine Glocke ...«
Vierter Akt
Was meine Sommerferien mit mir anstellten
neunzehn
Jedes dreiundvierzigste Mal blinken die Lichter der Polizeiautos, die meinem Transporter nach Houston folgen, synchron; zuerst blinken sie eine Weile ungeordnet, dann unmittelbar nacheinander, wie umkippende Dominosteine, und schließlich, für eine Sekunde, alle auf einmal.
Im Leben, das wird mir klar, während ich unter niedrigen, starr hängenden Wolken und einem Schwärm Hubschrauber zum ersten Tag meiner Gerichtsverhandlung gefahren werde, ist es genauso: Das Potential für Synchronität spürt man fast immer, aber wie oft passiert es schon, daß tatsächlich alles in eins fällt? Und wenn, dann muß man sich fragen, ob es ein Glücksfall ist. Oder eine Katastrophe. Nehmt mich zum Beispiel - mir wird so ziemlich jeder Mord zur Last gelegt, der zwischen dem Zeitpunkt meines Aufbruchs von zu Hause und dem Tag, als ich ihnen ins Netz ging, begangen wurde, und zwar in ganz Texas. Als mein Gesicht erst mal auf den Bildschirmen und Titelseiten war, haben mich die Leute wahrscheinlich an jeder Straßenecke erkannt. Das nennen sie dann Erinnerungsvermögen - ist 'ne fiese Sache, nehmt euch bloß davor in acht. Und für die Tragödie machen sie mich außerdem noch verantwortlich. Keiner denkt mehr an Jesus, er ist ihnen einfach entfallen. Allen außer mir.
Ein ganzer Sommer ist also vergangen, seit ich euch das letzte Mal mit meinem Geschwätz zur Last gefallen bin. Richtig, ich hab die letzten Monate hinter Gittern verbracht und auf den Prozeß gewartet. Auf eine Art hat Jesus mir Gesellschaft geleistet. Mir war einfach nicht nach Reden zumute. Der Ernst des Lebens hat zugeschlagen, nehm ich mal an, oder vielleicht bin ich auch nur erwachsen geworden. Noch so 'ne fiese Sache - ihr seid gewarnt. Kein Scherz.
Ich dreh mich zum winzigen Seitenfenster des Transporters und sehe zu, wie draußen Zaunpfähle vorbeihuschen. Der Oktober hat sich klamm auf die Landschaft gelegt und ihren Glanz vertrieben. Ist vielleicht besser so. Zumindest kommt mir das so vor, wenn ich an die letzten Wochen denke. Meine alte Dame zum Beispiel - sie hat versucht, sich umzubringen. Pam hat mich heimlich angerufen, um mir zu sagen, daß ich nicht immer so negativ sein soll, was die Sache mit Lally und den Kühlschrank und so weiter angeht. Sie meinte, Mom hat sich eines Tages im Haus eingeschlossen, den Backofen aufgedreht und sich vor die offene Klappe gesetzt. Angeblich ein Hilfeschrei, obwohl wir einen Elektroherd haben. Jetzt ist Pam dabei, sie aufzupäppeln.
Was mich angeht, ich fühl mich zur Zeit selbst wie ein Kühlschrank: schal, leer und ausgestöpselt. Mein Körper hat erkannt, daß er keinen Bedarf an sinnlichen Betätigungen mehr hat; das einzige, was er braucht, sind ganz klare logische Abläufe, das ist eine Überlebensfrage. Dame spielen, fernsehen - mehr läuft nicht. Der Körper ist klug, er weiß, wann er sich einschränken muß. Und als hätte man's ahnen können: Ich brauchte 'ne Brille. Der Staat hat rausgefunden, daß ich richtig schlecht sehe, und mir freundlicherweise diese neue Brille zukommen lassen, so 'n riesiges Teil mit dicken Gläsern und durchsichtigem Plastikrahmen. Zuerst war ich mir nicht sicher, aber mittlerweile find ich, daß sie ganz okay aussieht, besonders mit meinem geschorenen,
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