Jesus von Texas
Hölle unsere Leben durcheinandergewirbelt. Obwohl es vier Uhr morgens ist, spürt man, daß jeder Haushalt im Land zugeschaltet ist. »Da - das ist er!«
Die Marshals befördern mich die Gangway hinunter und gehen mit mir direkt vor den Medientribünen lang. Dahinter ist ein Zaun, und hinter dem Zaun kann man sie förmlich wittern, die Horden zorniger Leute, die immer zur Stelle sind, wenn zornige Leute benötigt werden. Ich werde auf die Ladefläche eines weißen Lasters gehoben, wo mich ein paar Männer in Laboranzügen und Helmen in Empfang nehmen. Sie gurten mich an einem Sitz fest, und dann werden wir von der Hälfte aller Polizeiautos der Welt in die Stadt eskortiert. Über uns kreisen sämtliche Helikopter der Welt und lassen ihre Richtstrahler über den Boden wandern wie bei einer Hollywood-Gala. Die Verleihung der verfluchten Schleim-Oscars, Mann. Eine Erkenntnis kann ich von hier aus an euch weitergeben: Streifenwagen werden nicht überall zu Schrott gefahren, keineswegs. Ebensowenig hat man plötzlich brillante Eingebungen, wie man die Cops ablenken könnte, um sich aus dem Staub zu machen, während sie sich gegenseitig über den Haufen fahren und von Brücken ins Wasser fliegen und diese ganze Scheiße. Und noch was - sobald man in so einem Wagen sitzt, wird man als erstes von der absoluten Gewißheit heimgesucht, daß nichts dergleichen passieren wird. Sie fahren immer schön geradeaus, macht euch bloß keine Illusionen.
Alle haben sie heute nacht einen Heidenspaß daran, imaginären Geschworenen schon mal vorzuführen, wie unschuldig ich bin, hö-hö, um mich dann wieder zurück zur Hölle zu schießen. Ich meine nicht die Leute zu Hause, sondern die hier in Harris County, wo die wichtigen Sachen passieren.
In der Zelle schließe ich die Augen und drehe eine Neufassung meines Lebens. In meiner Version stecke ich kein bißchen in der Scheiße. Ich bin einfach nur ein Typ, der von dem Ärger hört, den ein anderer hat, wer weiß, vielleicht hat ja ein anderer Typ das Sturmgewehr seines Vaters mit in die Schule genommen und die Hälfte seiner Kumpels weggeballert, soll ja vorkommen, so was. Und ich bin so ein Junge, der davon hört von irgendeiner armen Sau, wahrscheinlich einer von der stillen Sorte, dem Sprachkünstler hinten in der letzten Bankreihe, einem, der sich 'n Haufen Gedanken über alles mögliche gemacht hat und so weiter. Bis zu dem Tag, an dem er die Knarre mit in die Schule nahm. Und ich wäre dann einer, der nur davon hört, der sich den prickelnden Luxus der schwierigen Entscheidung leistet, ob er jetzt insgeheim mitfühlend oder lieber total am Ende sein soll; denkbar ist auch, daß mir die Sache komplett am Arsch vorbeigeht - legitime Reaktion bei Angelegenheiten, mit denen man nichts zu tun hat, das machen alle so. Das ist das Drehbuch zu dem Tag, den ich in meinem Kopf filme. Immer noch voller Gerüche und Hunde und so weiter, aber mit mir als Beobachter am Rande - einer, der auf der anderen Straßenseite steht und sich ein Eis holt, der seine sorglosen Jahre unbemerkt verstreichen läßt, so wie alle anderen auch. Der sich einfach langsam in einen gelangweilten Kotzbrocken verwandelt.
Ich versuche zu schlafen, aber die anderen Häftlinge in meinem Trakt werden gerade wach. Einer hört mich seufzen und schleudert ein paar Worte durch seine Zellentür. »Yo, Little? Du bist 'n verdammter Star!«
»Ja, klar«, sage ich. »Erzähl das mal der Anklage.«
»Scheiße, Mann, du kriegst die besten verdammten Anwälte, hast du gehört?«
»Mein verdammter Anwalt kann noch nicht mal Englisch.«
»Vergiß es, Mann«, sagt der Insasse. »Den Typen haben sie abserviert, der ist weg vom Fenster. War im Fernsehen und meinte, er ist noch dran an der Sache, aber das ist Bullshit, der ist den Job los. Jetzt sind die großen Kaliber an der Reihe, wenn du verstehst, was ich meine.«
Irgendwann ist der Typ still, und ich krieg 'ne Stunde Schlaf von der miesesten Sorte. Dann kommt ein Wärter, um mich zu einem Telefon am Ende des Traktes zu lotsen. Er marschiert wichtigtuerisch mit mir an den Zellen vorbei, als ob er 'ne Parade abnimmt oder so, und alle schießen an ihre Türen, um mich vorbeigehen zu sehen.
»Yo, Burn! Burnem Little, yo! Burnem, Motherfucker!«
Ich muß mich auf einen Stuhl neben dem Telefon setzen. Der Wärter schiebt sich einen Hörer ans Ohr und wählt für mich unsere Nummer. Der Anschluß ist abgestellt. Ich geb ihm Pams Nummer.
»H-hmm?« Sie hat den Mund voll.
»Pam,
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