Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
Vom Netzwerk:
polierten Schädel. Alles eine Frage der Gewöhnung. Eigentlich ist das ganze Outfit ziemlich cool, der blaßblaue Anzug in Kombination mit der Brille und dem Gummiband, das verhindern soll, daß sie runterfällt. Die Idee ist eigentlich, daß das Band im Nacken hängt, aber dort hat es sich immer mit meiner Kette verheddert, deshalb hab ich's so gestrafft, daß es am Kopf anliegt. Ich hab nämlich von Mr. Abdini ein Kruzifix an einer Kette bekommen. Ich konnt's kaum glauben, wie nett der war. Ist den ganzen Weg hierhergefahren, Ol' Abdini, nur um mir das Kreuz zu bringen, mit dem kleinen Typen dran. Das heißt, nicht irgendein Typ natürlich, sondern Jesus am Kreuz. Ich meine, es ist schwer zu erkennen bei der Größe, aber es kann nur Jesus sein.
    Ich hatte ein Gespräch mit dem Psychologen hier und hab ihm erzählt, daß ich keinerlei menschliche Qualitäten vorzuweisen hab, also irgendwelche besonderen Fähigkeiten oder so. Aber er meinte, das stimmt nicht und daß ich über eine ausgeprägte Intuition und Feinfühligkeit meinen Mitmenschen gegenüber verfüge. Kann schon sein, daß ich solche Fähigkeiten hab, wenn man mal drüber nachdenkt. Zum Beispiel könnt ich den Ärger schon riechen, bevor er überhaupt anfing - wenn das kein Talent ist. Irgendwas muß das ja wert sein. Die andere große Neuigkeit ist, daß ich nicht mehr fluche, ob ihr's glaubt oder nicht. Ich schätze mal, ich hab die Zeit ganz gut genutzt, viel ferngesehen und so, anstatt mich immer nur im Negativen zu suhlen. Dieses Suhlen im Negativen wurde als eins meiner Problemgebiete erkannt, das und meine Analfixiertheit, wenn ich das so sagen darf, die dazu geführt hat, daß jeder meiner Gedanken auf menschliche Ausscheidungen und Unterbekleidung und so weiter hinauslief. Riesiges Problemgebiet, aber der Psychologe meint, Vergegenwärtigung ist der erste Schritt zur Änderung. Ich schaff's nicht mal mehr, Lüftchen heraufzubeschwören, ehrlich. Meistens schau ich mir alte Fernsehfilme an, ich nehm an, um zurückzuverfolgen, an welcher Stelle ich was falsch gemacht hab. Letztens kamen mir bei einem Film sogar die Tränen.
    Ein Lynchmob füllt die Straßen rund um das Gerichts gebäude; Gegenstände kommen geflogen, als ich vorbeifahre, Leute brüllen und trommeln mit Fäusten auf den Transporter. Ich kann sie durch mein winziges Fenster sehen - sie und die Kameras, von denen sie gefilmt werden. Ganz hinten scheint sich allerdings auch eine Gruppe Unterstützer versammelt zu haben. Die Vorderseite des Gerichtsgebäudes sieht aus wie der Astrodome ein paar Meilen weiter: Kameras, Lichtmasten und Live Studios mit den Starreportern der großen überregionalen Networks, dazu jede Menge Catering-Wagen, Hot-Dog-Buden, Stromlaster, Maskenbildner-Container und T-Shirt-Stände, zwischen denen Verkäufer von Ansteckern und Luftballons umherkurven.
    Sie führen mich nicht gleich in den Gerichtssaal, sondern erst mal in einen Maskenbildnerraum hinten im Innenhof des Gebäudes, scheinbar deshalb, weil der Saal »in grelles, diffuses Licht getaucht« ist, wie mir der Typ erklärt, der mich vor einem Spiegel plaziert und mir über den Kopf streicht. Es sind noch mehr Leute vom Gericht hier; sie lassen sich Rouge auftragen, lächeln mir zu, als wäre ich ein Kollege aus der Poststelle ihrer Firma, und reden über die Verhandlung wie über ein Baseballspiel. Mir fällt auf, daß mein Make-up irgendwie blaß ist. Blaß und grau.
    Dann werde ich durch einen langen Korridor geleitet - ein Gewehrlauf, der in eine Tür mündet, deren Umrisse von hellen Lichtern durchkreuzt werden; dahinter ist der Gerichtssaal. Auf geht's. Ich betrete dieses Gericht als Unschuldiger, um das mal ganz klar zu sagen, und ich glaube daran, daß ich es durch die Vordertür wieder verlassen werde, wenn sie meine Geschichte gehört haben. Warum? Weil am Ende immer die Wahrheit siegt. Ich schaue mich um und sehe die Besetzung meines ganzen Lebens im Saal sitzen, eingehüllt vom Geruch der Fingermalerei und des Popcorns, mit dem die Scherenschnitt-Lämmer von Joseph, dem Schafhirten, beklebt sind. Die Kameras surren auf ihren Schwenkköpfen, und mit ihnen drehen sich die Köpfe der Leute, um zu sehen, wie ich in eine Art Zookäfig gesperrt werde, ausgestattet mit einem Mikrofon und einem großen grünen Knopf an der Vorderseite. Der Käfig hat glänzende schwarze Gitterstäbe, die im Abstand von ungefähr zehn Zentimetern angebracht sind, und wenn ich aufrecht stehe, ist vielleicht noch ein

Weitere Kostenlose Bücher