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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
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tippen muß, in die richtigen Schmutzkategorien, nehm ich an? Und warum diese abgesägte Maschine - ist vor Gericht das vollständige Alphabet nicht zugelassen? Man fragt sich, ob sie es wohl mag, den ganzen Schleim aus der Nähe zu betrachten, ob sie vielleicht sogar ganz wild darauf ist. Vielleicht erzählt sie ja ihren Freundinnen nach der Arbeit davon, und dann pressen sie gemeinsam ihre Lippen zusammen und - »o mein Gott« - seufzen 'ne Runde. Und wer weiß, vielleicht haben Anwälte einfach so ein spöttisches Halblächeln, vielleicht rennen sie ja sogar bei sich zu Hause damit rum. Möglicherweise sind sie überhaupt erst Anwälte geworden, weil sie ein besonders ausgeprägtes Talent für kleine, piffige Lacher hatten, solche, mit denen man jemandem zu verstehen gibt, daß er der einzige Ignorant auf der ganzen Welt ist, der das glaubt, was er eben erzählt hat. Wer weiß, vielleicht haben sie als Babys mal ein piffiges Lachen fahrenlassen, und ihre Eltern meinten: »Schau mal, Schatz, ein Anwalt.«
    Meine Verwunderung über all das hat sich spätestens in der Mittagspause des ersten Verhandlungstages verbraucht. Von da an sitze ich rum wie ein Zombie und laß endlose Tage voller Landkarten und Diagramme, Fußabdrücke und Fasern an mir vorüberziehen. Jesus' Turnbeutel mit meinen Fingerabdrücken darauf kommt an die Reihe und beschäftigt eine Woche lang sämtliche Wissenschaftler der Welt. Ich dagegen sitz nur da - teilnahmslos, nehm ich an - und mach mir diese paradoxen Gedanken;
    zum Beispiel frag ich mich, wie um alles in der Welt irgend jemand wissen kann, ob eine Faser an einem Schuh oder an einer Socke gefunden wurde. Manchmal dösen die Geschworenen ein bißchen vor sich hin, außer wenn ein neuer Zeuge aus der Maske gerufen wird.
    »Können Sie die Person, die Sie am Tatort gesehen haben, hier im Raum erkennen?« fragen die Staatsanwälte. Und einer nach dem anderen richten die Zeugen, alles Leute, die ich noch nie im Leben gesehen habe, ihre Blicke und ihre ausgestreckten Finger auf mich.
    »Der dort drüben im Käfig«, sagen sie. »Ihn haben wir gesehen.«
    Und wie in allen Gerichtsdramen tauchen die Leute aus der ersten Hälfte des Films auf und erzählen ihre Geschichte, einer nach dem anderen. Und man sitzt da und fragt sich: Werden sie mir helfen? Oder werden sie mich zur Hölle schicken? Als die Novemberkälte die Pritsche in meiner Zelle mit Decken bestückt, ist die Verhandlung längst zu meinen Knochen durchgesickert.
    »Der Staat ruft Dr. Oliver Goosens.« Goosens geht zum Zeugenstand und wird vereidigt. Seine Wangen glitzern rosig wie prall mit Kirschsahne gefüllte Seidensäckchen. Der Staatsanwalt und er werfen sich ein krampfiges kleines Lächeln zu.
    »Herr Doktor - Sie sind als Psychiater tätig, spezialisiert auf Persönlichkeitsstörungen?«
    »Das ist richtig.«
    »Und Sie erscheinen heute vor Gericht als unabhängiger Gutachter, ohne daß etwaige professionelle Kontakte zum Angeklagten berücksichtigt werden?«
    »Ganz recht.«
    Der Zeigefinger des Richters schießt hoch - das bedeutet »halt«. Dann wendet er sich zu meinem Anwalt. »Herr Verteidiger, ist Ihr Einspruch vielleicht in der Post verlorengegangen?«
    »Nein, Euer Ehren«, sagt Brian, ohne sich zu rühren.
    »Das ist der Therapeut Ihres Mandanten. Kann ich dem nach davon ausgehen, daß Sie den Konflikt ignorieren?« »Wenn Sie so wollen, Sir.«
    Der Richter kaut von innen auf seinen Lippen herum. Dann nickt er. »Fahren Sie bitte fort.«
    »Doktor Oliver Goosens«, sagt der Staatsanwalt, »was ist das für eine Person, die Ihrer fachlichen Einschätzung zufolge all diese Morde begangen hat?«
    »Einspruch!« schreit mein Anwalt. »Es ist nicht erwiesen, daß die Verbrechen von ein und derselben Person begangen wurden.«
    »Stattgegeben«, sagt der Richter. »Die Anklage sollte die Regeln kennen.«
    »Ich formuliere meine Frage neu«, sagt der Staatsanwalt. »Dr. Goosens - lassen diese Verbrechen auf ein Muster schließen?«
    »Absolut, ja.«
    »Auf ein Muster, das Ihnen aus Ihrem Fachgebiet bekannt ist?«
    »Auf Persönlichkeitszüge, die auf antisoziale Störungen schließen lassen, ja.«
    Der Staatsanwalt streichelt sein Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger. »Aber wie kann man wissen, daß diese Charakterzüge einer Person zuzuordnen sind?«
    Goosens gluckst leise. »Die andere Möglichkeit wäre eine regional begrenzte Epidemie antisozialer Störungen, die genau sechs Tage lang anhielt.«
    Der Staatsanwalt

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