Jesus von Texas
lächelt. »Und worin unterscheidet sich jemand, der an einer solchen Störung leidet, von uns anderen?«
»Antisoziale Persönlichkeiten sind auf sofortige Bedürfnisbefriedigung ausgerichtet - sie sind unfähig, auch nur den geringsten Aufschub in der Erfüllung ihres augenblicklichen Begehrens zu akzeptieren. Sie sind geübte Manipulatoren, und sie haben eine außergewöhnliche Selbstbezogenheit, verbunden mit dem Unvermögen, die Rechte und Bedürfnisse anderer wahrzunehmen.«
»Gehe ich recht in der Annahme, daß es sich bei solchen Störungen nicht um Geisteskrankheiten im eigentlichen Sinne handelt, daß also die Schuldfähigkeit der Betroffenen nicht eingeschränkt ist?«
»Das ist richtig. Bei Persönlichkeitsstörungen handelt es sich um Fehlanpassungen des Charakters, um Abweichungen im Mechanismus der Belohnungserlangung.«
Der Staatsanwalt läßt seinen Kopf hängen und nickt nachdenklich. »Sie sagen also, wir haben es mit einer antisozialen Persönlichkeit zu tun. Gibt es denn einen besser bekannten Begriff für diese Störung?«
»Nun, eine antisoziale Persönlichkeit ist das, was man gemeinhin einen Psychopathen nennt.«
»Und zu den bekannten Symptomen dieser Störung zählt Mord?«
»Einspruch«, sagt Brian. »Die meisten Mörder sind keine Psychopathen, und nicht alle Psychopathen sind Mörder.«
Der Richter blickt erschöpft zum Anklagevertreter. »Herr Anwalt - bitte.« Man sieht ihm an, daß er lieber kräftigere Ausdrücke verwenden würde, aber er beläßt es bei einem »bitte«. Das ist der Grund, warum er ihn so einschüchternd anschaut, unter Garantie - die Kluft zwischen dem, was er sagen möchte, und dem, was er sagen darf. Der Staatsanwalt kneift die dürren Fleischstricke zusammen, die seine Lippen darstellen sollen, und wendet sich wieder Goosens zu.
»Also, Herr Doktor - gehe ich recht in der Annahme, daß die von der erwähnten Störung Betroffenen den Resultaten ihres Verhaltens teilnahmslos gegenüberstehen, daß sie keinerlei Reue zeigen?«
»Einspruch! Fehlende Reue ist kein Widerspruch zu Unschuld!«
Der Staatsanwalt wendet sich den Geschworenen zu und lächelt selbstgefällig. Ich bleibe teilnahmslos. »Abgewiesen«, sagt der Richter. »Es wurde kein Bezug auf Ihren Mandanten genommen.« Er nickt Goosens zu, um ihm zu signalisieren, daß er antworten soll.
»Die Betroffenen haben eine sehr viel höhere Erregungsschwelle als Sie und ich«, sagt Goosens und zeigt dem Staatsanwalt seine Sahnebäckchen. »Ihre Gier nach Ner venkitzel kann sie zu Impulshandlungen mit immer größeren Risiken treiben, ohne Rücksicht auf Konsequenzen.«
»Einem Nervenkitzel wie Mord?«
»Ja.«
Der Staatsanwalt läßt das eine Weile auf dem Gerichtsboden ruhen, damit der Gestank zur Jury rüberziehen kann. Dann dreht er sich zu mir um und schaut mich an, während er Goosens die nächste Frage stellt. »Und sagen Sie uns - spielt Sexualität eine Rolle bei dieser Art von Verhalten?«
»Sex ist unser stärkster natürlicher Trieb und somit auch ein vorrangiger Kanal für Verhaltensweisen, die auf die Erlangung und die Erhaltung von Macht über andere Menschen abzielen. Und bei einer antisozialen Persönlichkeit sind Tod und Sex keine ungewöhnlichen Bettgenossen.«
»Und wie muß man sich als Laie die Ursachen dieser Charakterzüge vorstellen?«
»Nun, eine Fixierung kann im Kindesalter entstehen ...«
»Eine Fixierung auf, sagen wir mal - eine Frau?« Der Staatsanwalt senkt sein Gesicht, läßt aber zugleich seinen Blick zur Jury schwenken.
»In der Regel ist das Objekt männlicher Fixierungen weiblich, ja.«
»Es ist also möglich, daß ein Soziopath eine Frau tötet, weil es ihn erregt?«
»Ja - oder auch, daß er für sie tötet...«
»Keine weiteren Fragen.«
Es gibt Käsemakkaroni zu Mittag, dazu Brot. Beides revoltiert in meinem Magen, als etwas später mein Anwalt lächelnd auf den Zeugenstand zugeht.
»Oliver Goosens, wie geht es Ihnen heute?«
»Gut, danke.«
»Sagen Sie mir, Doc - verschlimmern sich eigentlich diese antisozialen Störungen mit zunehmendem Alter?«
»Nicht zwangsläufig - um als solche bezeichnet zu werden, müssen die Kriterien im Alter von fünfzehn Jahren feststellbar sein.«
»Ist denn das Leiden bei einem Fünfzehnjährigen noch behandelbar?«
»Die meisten Störungen bleiben, unabhängig vom Alter, behandelbar, doch bei starken antisozialen Persönlichkeiten sind die Resultate fragwürdig.«
»Sie wollen sagen, sie können nicht
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