Jesus von Texas
hinter mir zu und sprinte unter der größten Weide entlang zum Zaun hinterm Haus. Auf der anderen Seite wohnt ein reiches Paar, zumindest ist ihr Haus so gestrichen. Das bedeutet, daß sie weniger Zeit damit verbringen, heimlich andere Leute durch ihre Fliegengittertüren zu beobachten, wie Mrs. Porter das die ganze Zeit tut. Wohlstand macht weniger neugierig, falls es jemand noch nicht wußte. Ich klettere über den Zaun, laß mich von der aufgeschreckten Katze auf der anderen Seite anfauchen und husche über den Rasen zur Straße, der letzten auf dieser Seite der Stadt; Arsenio Trace heißt sie. Alles ist ruhig, abgesehen von einem Vollidioten, der am toten Ende der Sackgasse Wassermelonen verkauft. Ich wende mich von ihm ab, ziehe mir die Hutkrempe tief in die Stirn und laufe federnd Richtung Stadt, ganz unauffällig und sogar mit einem neuen Hinken, das ich dem Rhythmus der Rasensprenger anpasse, an denen ich vorbeikomme - »Mexiko, Mexiko, Mexiko, fsk, fsk, fsk«.
Vor mir taucht die geballte Ansammlung von Martirios vierstöckigen Gebäuden auf; ihnen zu Ehren ist die Straße von hier an betoniert. Vor dem Seldome Motel gibt es einen Auflauf von Menschen, die wahrscheinlich einen Blick auf irgendeinen Fernsehstar erhaschen wollen. Brian Gumball ist für einen Auftritt in der Stadt, hab ich gehört. Ich bleib aber nicht stehen, um nachzusehen. Neben dem Motel brutzeln die Imbißstände, doch ich begnüge mich mit dem Gedanken an die Enchiladas hinter der Grenze. Ich geh mal davon aus, daß Taylor Enchiladas mag - nicht, daß ich sie irgendwann gefragt hätte. Eine der vielen Sachen, die ich sie hätte fragen sollen, aber nie gefragt habe. Scheiße, Mann. Es macht mich echt fertig, wenn ich daran denke, wie wenige Worte Taylor tatsächlich an mich gerichtet hat. Neunundzwanzig vielleicht, in meinem ganzen Leben? Achtzehn davon im selben Satz. Ein Fernsehexperte würde die Chancen, daß ein Collegegirl im Eifer des Gefechts mit einem fünfzehnjährigen Schleimscheißer wie mir durchbrennt, nicht besonders hoch ansetzen, jedenfalls nicht nach einer Beziehung, die auf neunundzwanzig Worten basiert. Scheiß Fernsehexperten - aber so sind sie eben, kann man nichts machen. Als nächstes erzählen sie dir, du sollst kein Fleisch essen.
An der Ecke Gurie Street flimmert Willard Downs Gebrauchtwagenmarkt; sieht ein bißchen trostlos aus, seit er seine letzte Werbeaktion abgeblasen hat. »Down-Syndrom: Preise ganz unten!« hieß die Aktion, und abgeblasen hat er sie wegen der kleinen Delroy Gurie. Mein Blick fällt auf einen roten Farbklecks im hinteren Teil des Geländes - Lallys Van, mit einem 1700-Dollar-Preisschild an der Windschutzscheibe. Und dann schlägt mal wieder das Schicksal zu: Im Pizza Hut genau gegenüber von meiner Bank sitzt Vaine Gurie am Fenster und beugt sich über ihren Teller. Sich mit einem Stück Pizza ans Fenster zu setzen ist nicht gerade sehr clever für einen Diät-Flüchtling, aber der Laden ist vollgestopft mit Leuten von außerhalb. Ich bleib stehen, krame in meinem Rucksack und beobachte sie aus den Augenwinkeln. Das komische ist: Wie ich sie dort so sehe, die gute alte fette Vaine, die ihr inneres Ödland mit Leere ausfüllt, überschwemmt mich eine Welle der Traurigkeit. Ihre Strategie beim Essen ist es, sechs riesige Bissen zu nehmen und damit ihr Maul so vollzustopfen, daß es fast platzt, und immer, wenn was frei wird, häppchenweise nachzulegen. Panikfressen. Hier stehe ich und träume von Mexiko, dort drüben hockt Vaine und mästet sich schlank - noch so ein zerbrechlicher Schmutzfänger von einem Menschenkind. Ich blicke an mir herunter auf meine New Jacks, dann wieder hoch zu Vaine, wie sie dort sitzt, gleichgültig, traurig und voll schlechten Gewissens. Ich meine, was soll das denn für ein Scheißleben sein?
Im Augenblick ist es zu riskant, Geld abzuheben. Ich drehe meinen Kopf von der Straße weg und gehe weiter Richtung Greyhound-Station. Ich werd mir einfach den Fahrplan anschauen und warten, bis die Luft rein ist. Durch das Flimmern der Hitze am Ende der Straße schlingern zwei Cowboyhüte.
Auf der rechten Seite ist Dirk's Eatery; die Tagesgerichte sind auf die Scheiben gepinselt, drinnen beugen sich ein paar Hartgesottene über ihre Maisgrütze. Der Hund vor der Tür schaut nicht mal hoch, als ich vorbeigehe; zuckt nur so mit der Augenbraue, ihr kennt das.
Ich hinke in den Greyhound-Warteraum, schön locker und lässig. Sind noch paar Leute außer mir hier, aber
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