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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
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dann lehnt er sich im Sofa zurück und fängt an, das Dallas-Cowboys-Logo wegzukratzen, das mein Dad in die Lehne geritzt hat. »Noch ist es nicht zu spät für einen Paradigmenwechsel, Vern. Und, ehrlich gesagt - wenn es keinen gibt, dann stirbt die Story. Keiner hat was davon, wenn die Story stirbt. Ich rechne damit, daß ich den Zuschlag für eine komplette Reportageserie bekomme, ganz detailliert. Da könnten Filmrechte dranhängen, Web Events. Wir könnten deine Geschichte um dreihundertsechzig Grad drehen ...«
    »Lern erst mal rechnen, verdammt.«
    »Nun schaut euch das an!« Mom kommt mit dem Kaffee herein. »Er ist gerade mal zwölf und hat hundert Millionen Dollar! Ein E-Mailionär, das müßt ihr euch anschauen.«
    Im Fernsehen läuft Amerikas jüngste Millionäre. Die Ladys wehen rüber ins Wohnzimmer wie schlechte Luft.
    »Kleine Fische«, sagt Brad. »Ich hab meine erste Milliarde im Sack.«
    »Bravo, Bradley!« sagt George.
    Die Augenpaare gehen zum Bildschirm wie Sünder in die verdammte Kirche. »Mit gerade mal zehn Jahren war er bereits Millionär«, sagt der Reporter, »und jetzt ist Ricky auf dem besten Weg zu seinen zweiten hundert Millionen Dollar.« So wie er »Doll-arr« sagt, könnte man denken, er hat seine blöde Zunge in Sirup getaucht. Pussy oder so was. Ricky sitzt derweil wie ein überflüssiges Arschloch vor dem Lamborghini rum, den er nicht fahren kann. Als er gefragt wird, ob er sich nicht großartig fühlt, zuckt er nur mit den Schultern und sagt: »Tut das nicht jeder?«
    »Ein unglaublicher Junge«, sagt Mom. »Ich wette, seine Mutter schwebt im siebten Himmel.«
    »Hach, eine Milliarde Dollar«, seufzt Leona. Ihre Füße drehen sich nach innen wie bei einem kleinen Mädchen, dann lehnt sie sich rüber und flüstert laut in Brads Ohr: »Vergiß nicht, wer dich immer chauffiert hat in deinen bescheidenen Jahren!«
    Für einen Moment ist der Raum von flauschiger Wärme erfüllt. Dann sind alle Augen auf mich gerichtet. Ich reiße mich von Lally los und nehme Kurs auf den Flur.
    »Willst du nicht noch Millionäre mit uns gucken?« fragt Mom.
    Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Ich blase nur Luft durch meine Backen und schlurfe von dannen - nach Mexiko, mit einem Zwischenstop in meinem verdammten Zimmer.
    »Komm schon, Großer«, ruft Lally. »Ich mach doch nur Spaß.« Ich lasse seine Worte ins Niemandsland auf dem Läufer hinter mir fallen.
    »Wow, ich glaube wirklich, Nancie hat einen neuen Kühlschrank gekauft«, sagt Leona, als ich gerade den Flur erreiche. Darin ist Leona wirklich gut, Sachen immer am Laufen zu halten. Ich schätze mal, diese alten falschen Weiber sind da alle gut drin, durch die Reihe weg, mit ihren verfluchten vorprogrammierten Ausrufen und Seufzern und dem ganzen Scheiß. Das solltet ihr euch merken: Frauen von der Sorte können keine Stille ertragen.
    Ich schließe die Tür hinter mir ab und stehe bewegungslos im Zimmer; mein Blick wandert über die Löcher, die Vaine Gurie in meine Unordnung gegraben hat. Mein CDPlayer ist noch da, um ihn herum sind ein paar CDs verstreut. Ich greife nach einer alten Johnny-Paycheck-Compilation, lege sie ein und drehe die Lautstärke hoch. Dann fliegen Klamotten aus dem Kleiderschrank in meinen Nike-Rucksack. Sogar eine Jacke landet im Rucksack; wer weiß, wie lange ich weg bin. Auf meinem Nike-Karton liegen mein Adreßbuch und Daddys Cowboyhut - auch sie müssen mit. Inmitten meiner Besitztümer entdecke ich eine alte Glückwunschkarte von Mom, mit dümmlichen Hundebabys vorn drauf. Sie spült eine Welle der Traurigkeit heran, aber das kann mich nicht aufhalten.
    Als ich fertig bin mit Packen, horche ich einen Moment an der Tür und ordne die Stimmen aus dem Wohnzimmer zu. »Könnt ihr vergessen« - das ist George, von ihrem angestammten Sessel aus. »Nancie zehrt immer noch von Hanks Versicherung.«
    »Ich weiß nur nicht, warum sie so lange wegen meiner Auszahlung für Tyler rumeiern« - Mom. Man hört, daß sie gerade zum Kuchenholen in die Küche geht. »Ich meine, es ist jetzt fast ein Jahr her.«
    »Schätzchen - sie brauchen eine Leiche, das weißt du genausogut wie ich.«
    Ich schnappe mir den Rucksack, schiebe das Fenster hoch und springe hinaus in die schattigen Auen des Hauses. Schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite, sind die Vorhänge von Mrs. Lechugas Fenster noch immer dicht verschlossen, und die meisten Medienleute lungern vorne bei der Auffahrt rum. Vorsichtig ziehe ich das Fenster

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