Jesus von Texas
sie mit amtlicher Gebärde auf seinem Schreibtisch. Dann setzt er sich hin, legt sich die Brieftasche auf den Schoß und zieht meinen Zwanziger raus.
»Das ist ganzes Geld? Alles, was du hast für Reise?«
»Äh - das, und dann hab ich noch meine Karte.«
Er nimmt meine Karte vom Tisch, wendet sie langsam zwischen seinen Fingern um und betrachtet dann die Seite, auf der »VG Little« steht. Er kaut auf seiner Lippe. Auf einmal überkommt mich so eine Ahnung, daß in Mexiko vielleicht ein anderes Schicksal auf mich wartet als zu Hause. Ich glaube nämlich etwas zu sehen in seinen schwarzen Augen: ein verschwörerisches Flackern, ein Eingeständnis - wir beide, zwei alte Köter im selben mühseligen Spiel. Dann, blitzartig wie ein Karnickel im Gras, verschwindet der Zwanziger unter seiner Hand in der Schreibtischschublade.
»Willkommen in Mexiko«, sagt er.
Der berühmte Schauspieler Brian Dennehy würde jetzt erst mal ruhig stehenbleiben und seine Augen halb schließen, erfüllt von unausgesprochenem Respekt für die heimlichen Vorgänge zwischen Männern. Kann sein, daß er dem Typen eine Hand auf den Rücken legen und sagen würde: »Richten Sie Maria meine Hochachtung aus.« Ich dagegen schnappe mir bloß meinen Rucksack und seh zu, daß ich Land gewinne. Dreißig Meter weiter, auf der amerikanischen Seite, stehen die Staatspolizisten und sprechen in ihre Funkgeräte. Ich wende mich zur anderen Seite um und verschwinde in der Nacht meines Traums.
Stellt euch eine Wand aus Krebsgeschwürwolken vor, die genau über der Grenze abgetrennt ist, weil das mexikanische Schicksal solchen Mist bei sich nicht duldet - ratsch, ein sauberer Schnitt mit der Klinge Gottes. Intime Klänge ziehen sich wie Fäden durch den Strom der Reisenden, meiner neuen Brüder und Schwestern, die mich in ihrer Mitte wie einen Kiesel den Highway hinab nach Süden spülen, während ich tapfer nach Luft schnappe.
Die Stadt auf der mexikanischen Seite der Brücke heißt Reynosa. Sie ist groß, sie ist schmutzig, und eine Ahnung von Clowns und Zebras liegt in der Luft, so, als ob jederzeit die kuriosesten Dinge passieren könnten, während zu Hause die Nacht gerade ihren toten Punkt erreicht. Hier in Mexiko stirbt die Nacht nicht. Wenn die Welt eine Scheibe wäre und einen Rand hätte, er würde so aussehen wie Reynosa, keine Frage; die Naturgesetze sind außer Kraft gesetzt hier, das sieht man auf den ersten Blick. Als wir die Stadt erreichen, verläuft sich der Strom der Reisenden von der Grenze. Ich verlasse den Highway und streune kreuz und quer durch dunkle Seitenstraßen, bis ich in einer Gasse auf ein Getümmel aus brüllender Musik und Imbißständen mit fettglänzenden Speisen unter nackten Glühlampen stoße. Für einen Dollar in Münzen kriege ich von einem Kid ein paar Tacos, die auf ihrem Weg zum Magen noch nicht mal eine Schmierspur in meinem Rachen hinterlassen. Das Essen erschöpft mich. Ich taumele aus der Gasse heraus wie eine Herde Kühe in der Haut eines Kälbchens und ziehe eine weitere Stunde durch die Gegend, bis mich mein Verstand einholt. Ich weiß, daß ich ein bißchen Abstand zwischen mich und die Grenze bringen muß, aber ohne Geld bin ich gearscht und so gut wie tot. In federleichten Fragmenten streicht Jesus um mich rum; vielleicht ist er glücklich, im Land seiner Väter zu sein, vielleicht dürstet es ihn nach Rache an den Ausländern, die ihn getötet haben. Ich ersuche ihn um Frieden.
Am Rande der Stadt stoße ich auf einen dunklen Winkel, eine Art Bunker zwischen zwei Häusern mit Blick auf menschenleere, trockene Strauchvegetation. Ich lehne mich gegen eine Wand und verfolge das Treiben der Gedanken in meinem Kopf. An einem offenen Fenster weht eine Gardine im Wind. Als der beschissene Hund des Hauses endlich still ist, wickelt sich Taylors Körper in die Gardine wie eine Göttin; ihre festen Schenkel schimmern milchig durch das Spitzengewebe, das ihre Beine umspielt. Dann liegt sie neben mir auf der Erde; es ist der erste Tag unserer gemeinsamen Flucht, und ihre Haare sind verwühlt. Wir spielen und lecken uns in einen narkotischen Schlaf und bekommen gerade noch mit, daß um uns herum die Welt zerbröckelt.
Als ich spät am nächsten Morgen an einem fremden Ort erwache, ist es Donnerstag, und der Moment, der mein Leben entzweigerissen hat, liegt sechzehn Tage zurück. Ich weiß, daß ich Geld brauche, um weiterzukommen. Ich könnte es bei Taylor probieren, aber zuerst muß ich sicher sein, daß sie mich
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