Jesus von Texas
und reiht sie auf dem Tresen auf. Ich schaue zu, wie mein Foto in eine Bildschirmecke schrumpft und sich dahinter eine Karte von Texas aufbaut, auf der Fotos von fremden Leuten verteilt sind. Dann leuchten überall, wie pochende Schmerzstellen in einer Aspirin-Werbung, rote Punkte auf - Orte, an denen mich jemand gesehen hat, nehm ich an: Lubbock, Tyler, Austin, San Antonio.
Aber keine Schmerzstelle in Houston. Gott, wie ich dieses Mädchen liebe!
Plötzlich kommt der kleine Sohn vom Fahrer aus dem Hinterzimmer gerannt und schaltet auf einen Kanal mit Trickfilmen um. Ich komme zitternd auf die Beine und schlag mich auf einem Zickzackkurs von Tisch zu Tisch zur Bar durch. Irgendwas am Barkeeper kommt mir bekannt vor. Ich weiß auch, was: Er hat mein verdammtes Hemd an. Und meine Jeans. Ich schaue über meine Schulter nach hinten, um zu sehen, ob das mit den Nikes stimmt, ob es tatsächlich meine heiligsten Stücke sind, die da am Kreuz eines anderen Mannes baumeln. Und es stimmt. Ich starre den Barkeeper an, der auf meine Hosentasche deutet. Mein Blick gleitet an mir hinab, vorbei an einem T-Shirt mit dem Aufdruck »Guchi«, entlang schlabbernder orangefarbener Hosenbeine und hinunter zu einem Paar Sandalen mit alten Reifen als Sohlen. Mein Körper ist ein verdammter Schrein. Ich schaue in der Hosentasche nach und finde zweihundert Pesos in mexikanischen Scheinen. Vernon Gates Little, Mann. Mexikanisches Schicksal.
Die Jungs füllen mein Schnapsglas mit einem Mittelchen, von dem sie behaupten, daß es meinen Kater kurieren wird. Es brennt in der Kehle, und gerade als ich es hinterkippe, platzt Sonnenlicht in den Gastraum hinein, ein gleißender Kegel, der das Kruzifix an der Wand einrahmt und Erinnerungen an letzte Nacht entfacht. Pelayo, der Lasterfahrer, nimmt mich mit nach Süden, in seinen Heimatstaat Guerrero, ins Land der Schmutzfänger.
Er hebt seinen Jungen in die Fahrerkabine, während ich rüber zur Tankstelle stolpere, um mir eine Telefonkarte zu kaufen. Beim Vorbeilaufen betrachte ich die Schmutzfänger. Himmel auf Erden, Mann, ich sag's euch. In der Mitte stehen die Worte »ME VES Y SUFRES«. Mein Westensurfer oder so. Wartet mal ab, bis ich das alles Taylor erzählt hab.
Beim fünften Klingeln geht sie ran.
»Tayla.«
»Tay, hi, hier ist Vern.«
»Was, wer? Wart mal ...« Im Hintergrund rumpelt es, eine polternde Männerstimme ist zu hören, dann plötzlich nur noch Stille, als ob sie sich im Kleiderschrank eingeschlossen hat oder so. »Hallo? Wer?«
»Vern.«
Todesstille, ungefähr ein Jahrzehnt lang. Dann wieder ihre Stimme, ganz nah an der Muschel. »O mein Gott.«
»Tay, hör zu ...«
»Ich meine, ich kann's nicht fassen, daß ich mit einem Serienmörder spreche.«
»Scheiße, Tay, ich bin kein Mörder ...«
»Natürlich nicht - und warum reichen die Leichenstapel dann bis nach Victoria?«
»Komm schon«, sage ich. »Das kann nicht sein.«
»Aber, ich meine, ein paar Leute hast du doch umgebracht, oder? Irgendwas ist doch passiert - oder nicht?«
»Tay, bitte, hör mir doch mal zu ...«
»O Baby. Armes, gequältes Baby. Wo bist du denn?«
»Mexiko.«
»Mein Gott, hast du gesehen, was zu Hause los ist? Es sieht aus wie in Miami Beach, die ganze Stadt ist verkabelt wegen der Kameras, alles wird live im Netz übertragen, rund um die Uhr. Die Firma, die dahintersteckt, sucht Teilhaber und hat Bar-B-Chew Barn gekauft - und weißt du was, mein Dad hat einen Projektantrag für eine Sushi-Bar eingereicht, dort, wo der Unisex-Salon war! Wenn es klappt, dann ziehe ich wieder zurück und werde Managerin - ist das nicht unglaublich?«
Von meiner Telefonkarte tropft das Guthaben wie Ketchup von einer Tex-Mex-Fliege. »Tay, ich bin an einem öffentlichen Telefon ...«
Plötzlich wird die Leitung von hektischer Musik und Stimmengewirr erfüllt. Ein Mann ruft irgendwas, Taylor brüllt zurück: »Es ist mein Freund von außerhalb — okay?!« Die Tür knallt zu. Sie holt tief Luft, so, als ob sie rückwärts seufzt. »Tut mir leid, ich bin irgendwie, also, echt angreifbar grade.«
»Scheiße, ich will nicht, daß ...«
»Du brauchst Geld, oder? Also, ich hab so sechshundert Dollar gespart, für meinen Urlaub.«
»Scheiße, Tay, die würden mir das verdammte Leben retten.«
Sie schnieft, dann geht ihre Stimme ein paar Etagen runter. »Hör ich da etwa schmutzige Ausdrücke oder was, Killer?« Ich schwelle an unter meiner Polyesterhose. »Aber, hey - die Frage ist, wo soll ich's hinschicken?
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