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Jesus von Texas

Jesus von Texas

Titel: Jesus von Texas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: DBC Pierre
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einen Trichter wirft und auf den Ausguß zuspült, durch den nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit paßt. Die Lüge kann am Anfang noch so vage sein, so was wie: »Ich glaub, die sind in der nördlichen Hemisphäre«, ganz egal - er wird sie einengen, Stück für Stück, bis man ihm irgendwann eine Zimmernummer nennen muß. Wo, zum Teufel, sind meine verdammten Eltern?
    »Äh - Tijuana«, sage ich nickend.
    »Ti-juana?« Er schüttelt den Kopf. »Das ist falscher Weg nach Tijuana - ist andere Seite von Mexiko.«
    »Na ja, nein, also ich meine, das stimmt, aber die Sache ist, daß sie auf der anderen Seite rübergefahren sind, aber ich war noch hier auf der Seite, deshalb muß ich jetzt rüber, um sie zu treffen.«
    Er sitzt so da, wie die Leute das immer machen, wenn sie dir deine Geschichte nicht abkaufen: das Gesicht nach unten gerichtet, den Blick nach oben. »Wo in Tijuana?«
    »Äh - im Hotel.«
    »Welches Hotel?«
    »Das, äh - Mist, ich hab's mir irgendwo aufgeschrieben ...« Ich wühle in meinem Rucksack herum.
    »Du wirst heute in Mexiko nicht einreisen«, sagt der Grenzbeamte. »Besser, du rufst Eltern an, und sie holen dich.«
    »Ich weiß nicht, zum Anrufen ist es wahrscheinlich zu spät, ich sollte ja schon längst dort sein. Und außerdem dachte ich, daß unsere beiden Länder ein Abkommen haben oder so was. Ich dachte, Amerikaner können einfach rübergehen.«
    Er zuckt mit den Schultern. »Woher kann ich wissen, du bist Amerikaner?«
    »Teufel noch mal, Sie müssen mich doch nur ansehen, ich meine, klar bin ich Amerikaner, was soll ich denn sonst sein?« Ich drehe meine Handflächen nach oben und versuche, den Offensichtliche-Tatsache-Ausdruck zu imitieren. Er lehnt sich auf seinen Schreibtisch vor und schaut mir in die Augen.
    »Besser, du rufst Eltern an. Heute nacht du bleibst in McAllen, morgen sie kommen dich abholen.«
    Ich mache das einzig Mögliche: Ich tu so, als hätte er gerade einen brillanten Einfall gehabt. Wenn man schon so tief im Trichter hängt, bleibt einem nichts anderes übrig. »Hey, na klar«, sage ich. »Ich benutz einfach das Telefon und sag meinen Eltern Bescheid. Danke, vielen Dank.«
    Ich hinke zu einem alten Telefon, das an der Wand hängt, und tu so, als ob ich Münzen einwerfe. Dann wühle ich wie ein Vollidiot in meinem Rucksack. Ich tu sogar so, als ob ich tatsächlich mit jemandem spreche. Ehrlich, das ist genau die Scheiße, wegen der sie einen überhaupt erst zu Leuten wie Goosens schicken. Nach dem Schwätzchen mit meinen sogenannten Eltern sitze ich auf einer langen, leeren Bank und treibe in ein endloses Fegefeuer hinein; zur Untermalung quietscht der Ventilator wie ein Sack Ratten. So sitz ich bis drei, dann bis halb vier, nach einem kühlen Laken lechzend. Ihr kennt doch bestimmt diese Stimme im Kopf, die einzige, die einem wirklich vernünftig erscheint, wie so eine Art innere Granny. Meine sagt nur: »Besorg dir 'n Burger, leg dich aufs Ohr und wart ab, bis das alles ein wenig Sinn ergibt.«
    Rotes Licht blitzt durchs Fenster und reißt mich aus meinen Gedanken - dann blaues. Ein Streifenwagen fährt vor, die Hüte von Staatspolizisten wippen ins Bild. Amerikanischen Staatspolizisten. Ruckartig fahre ich von der Bank hoch und schlurfe an einem faltigen alten Mann vorbei, der, an einen Aktenschrank gelehnt, vor sich hin döst. Sieht irgendwie aus, als ob er sich dort hingesetzt hat, als er noch ein kleiner Junge war. Mir fällt nichts anderes mehr ein, als zum Schreibtisch des Grenzbeamten zurückzugehen. Er steht da und redet mit einem anderen uniformierten Mexikaner. Sie sehen mich fragend an.
    »Sir, Senor ich muß wirklich dringend über die Grenze und ein bißchen schlafen. Ich bin nur ein Amerikaner, der Urlaub macht, ehrlich ...« Aus den Augenwinkeln sehe ich einen weiteren Staatspolizisten am Fenster vorbeigehen. Er taucht mit einem Sturmgewehr im Arm vor dem Eingang auf und sagt etwas zu seinem Partner; dann kommt ein mexikanischer Polizist und redet mit beiden. Sie nicken und gehen weg.
    »Deine Eltern kommen?« fragt mich mein Beamter.
    »Äh - sie können jetzt gerade nicht.«
    Er zuckt mit den Schultern und wendet sich wieder seinem Partner zu.
    »Hören Sie«, sage ich, »ich bin ein ganz normaler Junge, Sie können in meiner Brieftasche nachschauen und alles ...«
    Ein neuartiges Leuchten erscheint auf seinen Augen. Er macht diese Laß-mal-sehen-Handbewegung, und ich reiche ihm die Brieftasche. Er nimmt meine Geldkarte raus und plaziert

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