Jesus von Texas
der erste Tequila vor mir aufgetaucht ist. Ich weiß nur, daß mein Leben inzwischen ein Stück weitergerückt sein muß, daß an der offenen Seite der Kneipe glasklare Himmel vorbeischweben, an denen die Sterne wie Tröpfchen an einem Spinnennetz haften, und daß ich süße ovale Zigaretten der Marke Delicados rauche, scheinbar aus meiner eigenen Packung. Ich bin bis zum Anschlag zugedröhnt. Die Schnurrbarte der Männer hängen dort, wo eigentlich ihre Frisuren sitzen sollten, darunter klaffen riesige Höhlen voll Mandeln und Gold und Gebrüll - schaut sie euch an, wie sie sich die Seelen aus dem Leib singen! Immer mehr Leute kommen hinzu, einer von ihnen kniet sogar. Die ganze Nacht besteht aus Fetzen tolldreister Szenen, ich und die Jungs, schreiend und lachend, als Stierkämpfer und Leguan-Imitatoren. Ehrlich, ihr hättet euch derartig bepinkelt vor Lachen, wenn ihr diesen einen verdammten Kerl, Antonio, als Leguan gesehen hättet. Um mich herum fallen sie sich heulend in die Arme, sie sind meine Väter, meine Brüder, meine Söhne, je nachdem, wo uns die Woge unbekümmerter Leidenschaft gerade hinspült. Im Vergleich dazu ist es zu Hause wie in einem beschissenen Whirlpool, den jemand vergessen hat anzuschalten.
Dabei kann die mexikanische Luft nicht groß anders sein als unsere - derselbe Sauerstoff, dieselbe bedrückende Erdanziehung, nur mit dem Unterschied, daß hier alles so lange erhitzt und aufgewühlt wird, bis nichts mehr, egal, ob gut oder schlecht, wichtiger ist als irgendwas anderes. Ich meine, bei uns sind auch jede Menge Mexikaner, aber solche Vibes wie hier kann man dort lange suchen. Schaut euch nur mal Lally an - so verkorkst können seine Gene gar nicht sein, daß er davon derartig ungenießbar geworden ist. Sein alter Herr hat wahrscheinlich zu seiner Zeit auch Leguane imitiert. Ehrlich, so, wie ich die Sache sehe, hat sich Lally diesen Bazillus eingefangen, der zu Hause umgeht. Den Bazillus des Verlangens.
Die Gedanken folgen mir zum Klobecken, das vollgestopft ist mit den ausgequetschten Limonen, die sie hier für ihre Drinks verwenden. Ich will nicht gerade behaupten, daß sie ganz und gar geruchstilgend wirken, dazu müßten wahrscheinlich auch noch der Fußboden und die Wände damit ausgekleidet sein, aber sie sorgen definitiv für so einen zitrusfrischen Effekt, der den Gedanken ein wenig auf die Sprünge hilft. Während ich die Limonen besprühe, wird mir klar, daß zu Hause eine Art Immunsystem existiert, das einem die Ecken und Kanten abschleift, die barbarischen Gene aus grauer Vorzeit ausspült und einen rundherum aufbereitet, mitsamt Wunde. Falls es ein Verbrechen ist, das auch nur zu sagen, dann tut mir das leid, aber erinnert ihr euch noch an Ol' Abdini, meinen Anwalt? Dem scheinen sie nicht viele Gene ausgewaschen zu haben - er hat definitiv noch genau dieselben wie zu der Zeit, als er hier an Land gegangen ist. Und warum? Weil es Schnelles-Geld-Gene sind - unsere Lieblingssorte. Ich verbringe indes meine Nacht in einem anderen Universum, unter Partnern mit korrekt geeichten mexikanischen Genen.
Ein Aneurysma weckt mich am Freitagmorgen. Ich liege zusammengerollt auf dem Boden, hinter einem Tisch. Als ich mich aufrichte, um mich umzuschauen, rutscht in meinem Kopf ein Ziegel gegen die Rückseite meiner Augen. Ich gebe den Versuch auf und konzentriere mich statt dessen auf ein klobiges Kreuz aus grobem Holz, das über mir an der Wand hängt und an dem meine Nikes baumeln.
»Mira que te esta esperando Ledesma«, sagt der Lasterfahrer drüben an der Bar.
»Cual Ledesma cabrón«, sagt der Barkeeper.
»Que le des mamones al nabo, buey.«
Der Fahrer legt sich fast hin vor Lachen. Ich höre ihn auf den Boden spucken, stemme mich hoch und sehe die Jungs mit zusammengekniffenen Augen zum Fernseher starren. Ich folge ihren Blicken, gerade noch rechtzeitig für den Umschnitt von Lally auf mein Schulfoto. Dazu feuert eine Sprecherstimme Maschinengewehrsalven auf spanisch ab. Nichts davon scheint die Jungs zu bekümmern.
»Que le ves al güero?« sagt der Barkeeper.
»Si el güero ères tu, pendejo.«
»Ni madrés. «
»Me cae - tas mas güero quela chingada, tu.«
»Chinga« ist das Fick-dich-Wort, das weiß ich aus der Schule. Es gibt sicher noch ein paar Abwandlungen davon, aber »chinga« ist definitiv das Mutterschiff hiesiger Beleidigungen. Keine Ahnung, was sie sonst noch gesagt haben. Der Barkeeper nimmt drei Schnapsgläser, poliert sie mit einer Ecke von seinem Hemd
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