Jesus von Texas
nicht bei der Kuh Leona Dunt verpetzt hat. Zu Hause muß ich auch anrufen und ein paar Sachen klären, aber Moms Telefon wird wahrscheinlich abgehört, und überhaupt - mit dreißig amerikanischen Cent in der Tasche ruf ich nirgendwo an. Ich nehme meinen Rucksack und mache einen Eilmarsch zum Highway stadtauswärts, der unter anderem nach Monterrey führt. Ich bin froh, wieder unterwegs zu sein. Ich meine, vielleicht hätte sich rausgestellt, das es in Reynosa einen Astrodome oder einen Streichelzoo gibt, aber ganz unter uns - ich hab da so meine Zweifel.
Schmutzige Laster, die mit ihren zusätzlichen Lichtern und Antennen aussehen wie fahrende Kathedralen, brettern den Highway entlang. Ich folge ihnen zunächst mal zu Fuß - ich will allein sein mit meinen Wellen. Erst schlurfe ich, dann laufe ich mit ausholenden Schritten, und am Ende hinke ich bloß noch - so vergeht der Tag, bis sich mein Schatten irgendwann nach der fernen Küste ausstreckt und die Kakteen im Abendlicht zu breiigen Massen verschwimmen. Ich komme zu einer Kurve, hinter der die Straße nach unten abknickt, und habe plötzlich das Gefühl, daß hier die Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft verläuft. Vor mir liegt die Nacht, hinter mir hat der Himmel noch Farbe. Ein Schauer kriecht über meine Haut, doch mein Kopf behält das letzte Wort: Überlaß die Zukunft dem mexikanischen Schicksal.
Dann, während der Himmel sein Sternenbanner ausrollt, stellen sich bedeutungsvolle Omen ein. Ein Laster mit vier Millionen Kühlerfiguren zuckelt vorbei. Er ist erleuchtet wie ein Kaufhausweihnachtsbaum und überall mit Sprichwörtern bepinselt. Doch eigentlich fällt er mir erst auf, als ich von hinten seine Schmutzfänger sehe und das Bild, das auf beiden prangt: eine Straße, die sich träge zwischen einer Gruppe von Palmen und einem Strand durchschlängelt. Meinem Strand. Bevor ich die Palmen auf Höschen überprüfen kann, zieht der Laster auf die Gegenfahrbahn rüber und rollt bergab, auf die Lichter von ein paar Bruchbuden neben dem Highway zu. Ich nehm an, so wendet man in Mexiko - man fährt seine Karre einfach auf die falsche Fahrbahn rüber. Erkenntnis: Wenn man einen mexikanischen Laster sieht, dem ein paar Autos an der Stoßstange kleben, dann hat er wahrscheinlich geblinkt. Ich renne hinter ihm her, den Hügel hinab.
»El alacrán, el alacrán, el alacrán te vapicar ...« Aus einer Kneipe neben einer Tankstelle plärrt Musik. Der Laster parkt vor der Kneipe, und ich sehe den Fahrer aus seiner Kabine steigen. Er ist kleiner als ich, unrasiert und hat einen gewaltigen Schnurrbart. Ein Stück vor der Tür nimmt er seinen Hut ab, dann gleitet er so cool und aufrecht hinein, als ob er bewaffnet ist. Direkt an der Schwelle quetscht er sich kurz die Eier. Hinter ihm springt ein kleiner Junge aus der Kabine. Ich schlurfe in das Gebäude hinein, ohne meine Eier zu berühren, aber scheinbar ist das auch okay, zumindest spricht mich niemand drauf an. Die Luft in der Kneipe ist erfüllt von ranzigem Speiseöl aus einer fremdartigen Küche. An einer groben Holzbar lehnt der Fahrer und schaut zu ein paar anderen Typen rüber, die sich an Blechtischen über ihr Bier beugen. Der Barkeeper sieht mexikanisch aus, ist aber ein Weißer mit roten Haaren - keine Ahnung, wie das geht.
Der Junge tollt zu einem Tisch vor einem an der Wand befestigten Fernseher. Alle anderen folgen mir mit ihren Blicken zur Bar, wo der Fahrer gerade ein kaltes Bier vorgesetzt bekommt. Ich habe eine Idee. Ich ziehe eine CD
aus meinem Rucksack, deute darauf und dann auf das Bier. Der Barkeeper runzelt die Stirn, wirft einen Blick auf die CD und knallt eine kalte Flasche vor mir auf den Tresen. Dann reicht er dem Fahrer die CD, und beide nicken. Ich weiß, daß es besser wäre, vorher was zu essen, und wenn ich wüßte, was »Milch und verdammte Cookies« auf mexikanisch heißt, würde ich auch was bestellen, glaubt mir. Dann signalisieren mir die Männer, daß sie meinen Rucksack sehen wollen, und stöbern behutsam meine CDs durch. Außerdem unternehmen ihre Blicke die unausweichliche Pilgertour zu den New Jacks an meinen Füßen. Das Ende vom Lied ist, daß der Barkeeper mich jedesmal anschaut, wenn er dem Fahrer ein Bier hinstellt. Ich nicke, und eine Sekunde später steht ein neues Bier auf dem Tresen. Mein Kredit ist bewilligt; ich stelle mich vor. Der Lasterfahrer läßt das Gold zwischen seinen Lippen aufblitzen und hebt seine Flasche.
»Sa-lud!« sagt er.
Keine Ahnung, wann
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